Sozial- und umweltfreundliche Kleidung: Großes Interesse am Grünen Knopf
Entwicklungsminister Gerd Müller verschiebt den Start des neuen Siegels auf September – angeblich wegen zu großen Andrangs.
„Mehrere Dutzend Firmen haben Interesse, beim Start des Grünen Knopfes dabei zu sein, und haben eine Prüfung beantragt“, sagte Müller der taz. Wegen des großen Andrangs dauere die Vorbereitung länger als angenommen und könne nicht bei der Neonyt-Messe für nachhaltige Mode Anfang dieser Woche stattfinden.
Der Grüne Knopf soll besonders sozial- und umweltverträgliche Kleidungsstücke in Geschäften und Onlineshops auszeichnen. Als Reaktion auf katastrophale Unfälle in Textilfabriken in Pakistan und Bangladesch ist das staatliche Zertifikat ein Anliegen des Ministers, gleichzeitig in der Branche aber umstritten.
„Ein zusätzliches nationales Siegel macht keinen Sinn“, sagt Uwe Mazura, Geschäftsführer des Verbandes der Textil- und Modeindustrie. Die Kampagne für Saubere Kleidung befürchtet zudem, dass das Siegel zu lasch ausfällt.
Kleine und große Firmen haben Interesse
Dennoch kann Müller sich mittlerweile über eine gewisse Unterstützung freuen. „Wir halten den Grünen Knopf für sinnvoll, wenn er anspruchsvolle Kriterien erfüllt“, sagte etwa Heike Hess vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN). „Wenn uns Firmen ansprechen, empfehlen wir, sich am Grüne-Knopf-Check zu beteiligen.“ Diese Haltung des Verbandes ist wohl ein Grund für das wachsende Interesse. Mehrere kleine Naturtextil-Firmen wie Dibella und Melawear wollen mitmachen. Interesse haben aber auch große Händler wie Tchibo, Lidl und Kik.
Vier Prüfinstitute, darunter der TÜV Nord, führen augenblicklich Vorgespräche mit Unternehmen. Dabei geht es um die Sozial- und Umweltstandards der Firmen und die Handhabbarkeit der Kriterien, die sie einhalten müssen, um den Grünen Knopf zu bekommen. Die Firmen werden demnach auf zwei Ebenen geprüft. „Um das Zertifikat zu erhalten, müssen 26 soziale und ökologische Kriterien für das Produkt erfüllt werden“, erklärte Müller. „Außerdem muss das Unternehmen als Ganzes seine Sorgfaltspflichten anhand von 20 Kriterien nachweisen.“
Eine Liste der Kriterien, Stand Ende April, liegt der taz vor. Auf der Ebene des Unternehmens muss beispielsweise eine Grundsatzerklärung zur Einhaltung der Menschenrechte in der Produktionskette vorliegen. Damit erklärt der Vorstand etwa, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in den asiatischen Zulieferfabriken freien Gewerkschaften beitreten und über ihren Lohn verhandeln können.
Außerdem braucht es eine Risikoanalyse für alle Produktionsschritte, eine Strategie zur Umsetzung sozialer und ökologischer Standards bei den Lieferanten und einen Beschwerdemechanismus, damit die Interessen der Zulieferarbeiter*innen in den deutschen Firmenzentralen Gehör finden.
Heike Hess
Auf der Ebene der Produkte, die den Grünen Knopf tragen sollen, müssen die Firmen unter anderem nachweisen, dass es bei den Zulieferern keine Zwangs- und Kinderarbeit gibt, die international festgelegte Maximalarbeitszeit nicht überschritten wird, die Fabrikgebäude gegen Brände und Einsturz gesichert sind und die Beschäftigten den gesetzlichen Mindestlohn des jeweiligen Landes erhalten.
Dieser Punkt ist heikel. Gisela Burckhardt von der Organisation Femnet und der Kampagne für Saubere Kleidung reicht der Mindestlohn als Kriterium nicht: „Mindestens müssten die Firmen existenzsichernde Löhne anstreben und Schritte in diese Richtung unternehmen.“ Denn dieses Lohnniveau liegt höher als die staatlichen festgelegten Mindestlöhne der Produktionsländer, die den Arbeiter*innen oft nicht ermöglichen, ein erträgliches Leben zu führen.
Andererseits stellt der Grüne Knopf auch mit den bisher geplanten Kriterien eine Herausforderung für viele Textilhändler dar. In China gefertigte Produkte werden das Siegel wohl nicht erhalten dürfen, weil es dort keine Gewerkschaftsfreiheit gibt. Und die Kriterien auf der Ebene der Produkte sollen Firmen anfangs nachweisen, indem sie bereits über andere, anspruchsvolle Sozial- und Öko-Siegel verfügen – etwa die Zertifikate Gots, IVN Best oder Fairtrade. Der Textildiscounter Kik, dem diese Siegel noch fehlen, kann deshalb wahrscheinlich erst mal nicht mitmachen.
Vorläufig geht es beim Grünen Knopf um die Zertifizierung der letzten beiden Stufen der Textilherstellung – das Färben der Stoffe und das Nähen zum Endprodukt. Später sollen weitere Fertigungsschritte bis zum Anbau der Baumwolle einbezogen werden. Das Entwicklungsministerium will das Siegel bei der Deutschen Akkreditierungsstelle und beim Europäischen Patentamt anmelden. Firmen weltweit könnten es dann künftig als anerkannten und geschützten Standard nutzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag