: Sowjets kürzen Öl für Nicaragua
■ Benzinknappheit verursacht Schlangen an Tankstellen / Osteuropäische Länder und Mexiko sollen einspringen / Benzinpreiserhöhungen bisher verweigert, um Inflation zu bremsen
Aus Managua Ralf Leonhard
„Der Mechaniker kommt wohl am Nachmittag“, versichert der Pächter der Esso–Tankstelle in der nicaraguanischen Provinzstadt Boaco einem verzweifelten Autofahrer. Seine einzige noch betriebsfähige Zapfsäule steht wegen Pumpendefekts still. Bei Shell gibts schon lange kein Benzin mehr und die nächste Tankstelle, die vielleicht geöffnet hat, ist 50 Kilometer entfernt. Seit Tagen müssen Autofahrer stundenlang Schlange stehen. Nachdem die nationale Erdölverwaltung PETRONIC sich tagelang um eine vernünftige Erklärung für die bereits zweite Treibstoffknappheit innerhalb von drei Monaten gedrückt hatte, ließ Revolutionskommandant Henry Ruiz, Minister für Auslandskooperation, am vergangenen Donnerstag endlich die Katze aus dem Sack. Die Sowjetunion, die letztes Jahr noch den gesamten Erdölbedarf Nicaraguas deckte, hat ihre Lieferungen auf 40 Prozent der bisherigen Lieferungen reduziert. Der Minister führt die Entscheidung auf eine neue Politik des Schutzes von Bodenschätzen in der UdSSR zurück. Inoffiziell ist aber schon lange bekannt, daß die Sowjets nicht unbeschränkt liefern wollen. Nicaragua verbraucht jährlich 765.000 Tonnen Rohöl und muß für Erdöl und seine Derivate im Jahr 225 Millionen Dollar ausgeben. Im letzten Jahr sind durch Exporte lediglich 218 Millionen Dollar hereingekommen. Vorerst sind die sozialistischen Staaten Osteuropas und Kuba in die Bresche gesprungen, damit die Wirtschaft im revolutionären Nicaragua nicht völlig zum Erliegen kommt. Die DDR will 90.000 Tonnen Öl liefern, Bulgarien 40.000 Tonnen, Kuba hat 60.000 Tonnen zugesagt. Henry Ruiz hat bei dem stellvertretenden Außenminister Ladislav Wondraschka, der vergangene Woche in Nicaragua weilte, um weitere 90.000 Tonnen angesucht. Das verbleibende Defizit von über 100.000 Tonnen Rohöl will Nicaragua aus Lateinamerika bekommen. In der Hoffnung, daß die Contadora– Staaten Nicaragua nicht bankrott gehen lassen wollen, haben sie sich in erster Linie an Mexiko gewandt. Trotz über 600–prozentiger Inflationsrate hat sich die Regierung seit mehr als einem Jahr um eine Benzinpreiserhöhung gedrückt, weil diese einen weiteren Inflationsschub auslösen würde. Derzeit kann man in Nicaragua für umgerechnet 80 Pfennig volltanken - vorausgesetzt, man stellt sich zweimal an, da an jeder Tankstelle nur jeweils fünf Gallonen (19 Liter) ausgegeben werden.
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