: Sowjetische Künstler gegen AKW
■ Ukrainischer Schriftsteller bezeichnet geplantes Atomkraftwerk am Dnjepr als „zweites Tschernobyl“ / Weitere Schriftsteller protestieren / Unruhe in der Bevölkerung von Chyhyryn
Aus Chyhyryn Ralph Knerr
Einer der führenden Schriftsteller der Ukraine, Oles Honchar, hat zum Widerstand gegen den geplanten Bau eines Atomkraftwerks am Dnjepr, nahe der geschichtsträchtigen ukrainischen Stadt Chyhyryn, aufgerufen. Wie die englische Wissenschaftszeitschrift Nature berichtet, nutzte Honchar mehrere Radio– und Zeitungsinterviews anläßlich der Rehabilitierung seines seit den sechziger Jahren verbotenenen Romans „Die Kathedrale“, um auf katastrophale Planungsmängel dieses AKW–Projekts hinzuweisen, das er als „zweites Tschernobyl“ bezeichnete. Wie Honchar berichtete, war zunächst die Errichtung eines Kohlekraftwerkes beschlossen worden, bis Berechnungen erga ben, daß sich die Kohle nur zu unrentablen Kosten an diesen Standort transportieren lassen würde. Daraufhin sollte das zu errichtende Kraftwerk mit Öl betrieben werden. Erst nachdem bereits große Summen investiert worden waren, zeigte sich, daß wegen der niedrigen Temperaturen im Winter das Öl in der zusätzlich geplanten Pipeline nicht mehr fließen würde. Deshalb wurde wieder „umgeplant“, und man beschloß, ein AKW zu errichten, obwohl der geplante Standort in einem dicht besiedelten Gebiet liegt. Nach Angaben Honchars gibt es inzwischen bei der betroffenen Bevölkerung erheblichen Widerstand gegen das Projekt. Obwohl bis jetzt noch keine endgültige Entscheidung von Regierungsseite getroffen ist, hat die All– Unions Atombaubehörde bereits damit begonnen, die Bevölkerung mehrerer Dörfer umzusiedeln und Gebäude abzureißen. Besonders betroffen sind dabei auch eine Fülle historischer Gebäude und Bauten, die zu einem großen Teil noch auf den unabhängigen Kosakenstaat des 17. und 18. Jahrhunderts zurückgehen, dessen Hauptstadt Chyhyryn war. Wie Nature berichtet, haben sich inzwischen weitere ukrainische Schriftsteller dem Protest Honchars angeschlossen, darunter auch Ex–Dissident Vasyl Zakenarchenko. Der Protest der Schriftsteller ist auch deshalb von besonderer Bedeutung, weil in der Vergangenheit der Widerstand von Künstlern und anderen Intellektuellen bereits einige sowjetische Großprojekte, wie die Umleitung des Obs und seiner Nebenflüsse, zu verhindern half.
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