Soviel Natur war nie

■ Wo auch im verregneten Sommer die Sonne scheint, Schönscheußlichkeiten zum halben Preis zu haben sind und KünstlerInnen den Dialog pflegen: Ein Streifzug durch Worpswede

orpswede ist ein heiterer Ort. Hier scheint auch im verregneten Sommer 1997 die Sonne, und vom Eiscafé Dolomiti kommen Schnauzbärte und haben die runde Schwiegermutter am Arm eingehakt. Orange schweben kleine Mädchen über Heini Linkshänders Beton-„Welle der Erregung“, tippeltippeltippeltip. So schmiegt sich Natur an Kunst, und ganz in Schwarz gekleidete Väter stolpern verwirrt hinterher. Von den steinernen Stufen am „Alten Rathaus“treiben strenge Hecken den Blick auf die Landschaft der Gasthäuser und Cafés; an allen Ecken, in allen Nischen spielt das Dorf „Sommerabend auf dem Barkenhoff“. Sanft wippen rosa Schnörkel über dem Eingang und versprechen Kaffee, „Kunst und Ideen“. Worpswede im Sommer, unterm Bannspruch des Jugendstils, schlägt mit seinen ungleichen Schmetterlingsflügeln Verzweiflung und Komik.

In der Kommunalen Galerie im „Alten Rathaus“ist Vernissage. „dialogART 3“ist die dritte einer auf 15 Ausstellungen konzipierten Reihe, die sich bis ins Jahr '99 fortsetzen soll: Der Versuch von KünstlerInnen rund um das Teufelsmoor, sich mit auswärtigen Kollegen auf eine bildnerische Auseinandersetzung einzulassen. Seit 1989 steht die kommunale Galerie ansässigen KünstlerInnen zur Verfügung. Christine Beckmann, die Kulturbeauftragte der Gemeinde, leitet sie – an langer Leine.

Zum hundertjährigen Bestehen der Künstlerkolonie habe man der Kommerzialisierung des Alten etwas entgegensetzen wollen, erzählt Beckmanns Kollegin Annette Hulek, die die Worpsweder Künstlerhäuser leitet. Die junge Worpsweder Kunst habe keinen eigenen Ort gehabt. Also machte der Rat des „Weltdorfes“im „Alten Rathaus“Platz dafür. Doch: „Als sie ihn hatte, merkte man schnell, daß man hier in Worpswede auf Dauer doch nur im eigenen Saft kocht“, erinnert sich Annette Hulek. Deshalb die Öffnung zum „dialog“, der einheimische mit auswärtigen KünstlerInnen zusammenbringt.

In seinem dritten Anlauf steht – nach dem Material Draht bei „dialogART 2“– nun das Thema „Landschaft“zur bildnerischen Disposition. Das ist gewagt in einem Dorf, das seine Naturlandschaft mit ihren Abbildern zugehängt hat wie mit einer überdimensionalen Fototapete. Die vier KünstlerInnen im „Alten Rathaus“bemühen sich denn auch redlich um die Lösung der Aufgabe, soviel Natur ein bißchen „Naturschönes an sich“entgegenzusetzen, wie Theodor Wiesengrund Adorno einmal so sagte, als sei ihm der Worpswede-Komplex vertraut.

Beinahe hingehuscht die kleinen Tuschezeichnungen von Reinhild Zietz, die seit Anbeginn zum „Rathaus“-Kreis gehört und sich mit ihren gestischen Momentaufnahmen aus dem Idyll ihrer Wahlheimat herauszustehlen versucht. „Viel zu schön!“möchte man rufen und freut sich dann an ein paar harten roten Strichen, die den Augenblick durchkreuzen. Am anderen Ende der Landschaftsmalerei Ellen Mäder-Gutz: Licht und Schatten sind hier geronnen ins Ornament. Die „Variationen meiner Landschaft“collagieren Natur grünblau zu Serien des Immergleichen, zu – Mustern wie fürs Linoleum.

Johannes Simon aus München ist mit seinen 37 Lebensjahren ein Klassiker des Erhabenen. Großformatige Schwarzweißfotos werfen ihren Blick durch trübe Fensterscheiben und bleiben in ihnen hängen. Immanuel Kants „gestirnter Himmel“und die „Vernunft“– allemal „Zahl und Adler“der Landschaftskunst seit zweihundert Jahren – finden in Simons Fotos ihr Wechselgeld in den blinden und zerbrochenen Scheiben einer Industrie-Landschaft. Jedes Fenster nach draußen ist dem Phantasten ein Spiegel.

Seine Münchener Kollegin Hilde SeyBoth kontrastiert diese Lust aufs Imaginäre mit Analyse. Moor, sagt sie mit ihrer Installation, ist Wasser und Erde. Die trennt sie sauber in zwei Glaskübel und stellt sie auf Blei. Daß Landschaft „grüne Sosse“ist, wie ein heimlicher Aktionskünstler während der Vernissage flugblätterte, scheint ihr unheimlich. Die Natur des grauen Velours-teppich im „Alten Rathaus“überwölbt sie mit zwei „Brücken“und nähert sich ihrer Physik mit cartesianischer Strenge.

Viermal „Naturschönes“statt Fototapete. Viermal sachliche Argumente gegen den Worpswede-Komplex. Doch am Ende des Dorfes sitzt Gisela Bollhagen in ihrer wellblechernen Kunstkammer, umwuchert von „Kraut“, und verramscht ihr Archiv. Die 67jährige, die als einzige im Ort Schönheit als ein Wuchern verstehen wollte und über 18 Jahre die „grüne Sosse“Surrealismus von Ernst Fuchs bis Johannes Grützke vertrieb, macht sich vom Acker. Tiefrot geschminkt, sitzt sie noch sechs Wochen hinter ihrer Kasse – zwischen den wunderschön kitschigen Stuhlobjekten von Jörg Gutt – und verkauft Fuchs' „Genesis“und viele andere Schönscheußlichkeiten zum halben Preis. Und wer es hören will, dem sagt sie, daß sie jetzt nach Mallorca geht: „Was soll ich mir das Leben hier schwer machen?“, fragt sie und lächelt. äff

Ausstellung „Landschaft“im „Alten Rathaus“, Bergstraße 1, bis 31. August; Ausstellung aus dem Archiv von Gisela Bollhagen in der Galerie Bollhagen, Kattenpad 1, Worpswede, Di-So 11-18 Uhr