Soviel Kritik muss sein: Jan Zier über „Einunddreißig Skizzen“: Begegnung mit einem Altvorderen
Johann Kresnik hat ihnen freie Hand gelassen. „Macht, was ihr wollt“, hat er zu der Choreografin Magali Sander Fett gesagt, und er hat noch nicht einmal selbst gesehen, was sie mit dem Tanzkollektiv Bremen in „Einunddreißig Skizzen“ am Goetheplatz nun daraus gemacht hat.
Das ist bemerkenswert, geht es doch in diesem Stück um ihn, der einst, vor 50 Jahren, als Ballettdirektor hier am Theater Bremen das moderne Tanztheater mit begründet hat. Die 31 Zeichnungen, auf denen diese Choreografie basiert, sind nämlich alle von ihm: lauter starke Bilder, Szenen voller Eindringlichkeit, voller Gewalt und Wut, voller Grenzüberschreitungen und auch Obszönitäten. Hier ist nichts subtil, sondern alles drastisch. Was natürlich einmal mehr das Bild bestätigt, das viele eh von ihm haben: Kresnik, der notorische Krawallregisseur, Kresnik, der Tanzberserker und Bürgerschreck.
Magali Sander Fett ist da ganz anders, viel feinsinniger, differenzierter, suchender und auch poetischer – wie sich beispielsweise an ihrer Arbeit „And now with music“ zeigt, die in Zusammenarbeit mit der weltmeisterlichen Lateinformation des Tanzclubs Grün-Gold Bremen entstanden ist und die Verbindungen zwischen Tanztheater und Paartanz auslotet.
Sie sei „beeindruckt“ von den Zeichnungen gewesen, sagt Magali Sander Fett, weil sie ihr wie ein Tagebuch Kresniks vorkamen: „Ich habe den Eindruck, ihn ‚pur‘ kennenzulernen.“ Glücklicherweise ist „Einunddreißig Skizzen“ weder eine jubiläumsselige Hommage an Kresnik geworden noch eine rein tanzhistorische Auseinandersetzung mit einem Pionier des choreographischen Theaters und all dem, was sich seitdem daraus entwickelt hat. Das Stück ist eine eher assoziative Beschäftigung mit seinen Themen, die auch eben jene Skizzen beherrschen: Es geht um Macht und Ungleichheit, um Krieg, Kirche und Nationalismus, aber auch um Geschlechteridentitäten und -beziehungen.
Manche seiner Bilder erkennt man in dem Stück wieder, andere kaum, ohne dass das immer ein Verlust wäre, und doch dringt in diesen 80 Minuten immer auch noch seine Sicht auf die Welt durch. Dass vieles sexuell stark aufgeladen ist, überrascht also nicht, und auch nicht, dass die Bewegungen manchmal ins Sinnlos-Absurde kippen. Zugleich ist hier fast alles Kampf, Arbeit und Auseinandersetzung – für Harmonie und Rhythmus ist da wenig Platz.
Und für Musik auch – die Choreografie emanzipiert sich tänzerisch sehr stark von Musik. Das wird gleich zu Beginn klar: Die Inszenierung beginnt in einer Probensituation – und in Stille. Und es dauert eine ganze Weile, bis mit der Star-Wars-Titelmelodie das erste Mal Musik erklingt, wobei sie dann auch eher dudelt, etwas blechern, aus einer viel zu kleinen Box. Ansonsten trifft es das Wort Soundcollage meist besser.
Das nimmt einem Tanztheater natürlich etwas von seinem sinnlichen Reiz und trägt dazu bei, dass „Einunddreißig Skizzen“ bisweilen etwas verkopft daher kommt. Dazu gehört ein eher minimalistisches Bühnenbild, das davon lebt, dass alle sich ständig am Rande des Geschehens umziehen müssen, und ansonsten mit wenig Requisiten auskommt. Am Ende ist das Stück vor allem eine Forschung am lebenden Objekt, eine Auseinandersetzung über Möglichkeiten und Grenzen des Tanztheaters, bei der wir als ZuschauerInnen live dabei sein können.
Nächster Termin: 25. Oktober, 20 Uhr, Theater Bremen, Kleines Haus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen