■ Soundcheck: NDR-Bigband Jubiläumskonzerte / Brodsky-Quartett
Gehört: NDR-Bigband Jubiläumskonzerte. Es muß irgendwo ein Gesetz geschrieben stehen, das vorschreibt, daß Musiker bei Feierlichkeiten in Schwarz aufzutreten haben. Anders ist es nicht zu erklären, daß die Herrenrunde am Wochenende in der Fabrik in ungleichem Schwarz auftrat; nicht im Frack, sondern in Jeans, T-Shirt oder Hemd. Nur auf dem Rücken des Clan-Chefs leuchtete in roter Farbe der Anlaß der Feierlichkeiten: die Zahl 50. So viele Jahre lang gibt es die NDR-Bigband jetzt nämlich schon. Im Kontrast zu ihrer Bekleidung füllte die renommierte Combo, die seit Jahren in der Fabrik eine zweite Heimat gefunden hat, den Raum mit bunten Klängen: von Benny Goodman bis zu Jimi Hendrix. An zwei Abenden wurde das Jubiläum gebührend gefeiert. Zunächst am Freitag in Anwesenheit der Rock-&-Blues-Röhre Inga Rumpf, dann einen Tag später zusammen mit dem Tuba-Spieler Howard Johnson. Mit „verblüffend lässiger Eleganz“ krönte der Musiker aus Alabama seinen Gastauftritt mit einer Version von Voodoo-Child, vor der Hendrix den Hut gezogen hätte. Nicht zu vergessen sind die solistischen Auftritte der jüngeren Bigband-Mitglieder. Die versprachen dem alternden Orchester eine erfrischende Zukunft.
Niko Theodorakopulos
Gehört: Brodsky-Quartett. Das Brodsky-Quartett ist eines jener Ensembles, die noch vor dem Kronos Quartett und den Fit-for-Classic-Radios entdeckt haben, daß klassische Musik nicht unbedingt in korrekter Abendkleidung und weihevollem Konzertsaal zelebriert werden muß. Als Insignien ihrer unkonventionellen Musizierhaltung spielen die Streicher – bis auf die Cellistin – im Stehen und widmen sich gleichermaßen Klassikern, Avantgardisten und dem Pop. Ihr Auftritt auf Kampnagel am Samstag mit einer Mischung neuer Musik bildete den Auftakt der diesjährigen „Know No Bounds"-Konzertreihe.
Primgeiger Michael Thomas würdigte Peter Sculthorpe als den „ersten Komponisten Australiens". Dessen achtes Streichquartett geriet tatsächlich zum Höhepunkt des Abends. Drei langsame, gesangliche Sätze umrahmen die zwei leichteren, lebhaften des Werkes. Die ernste Kantilene des Cellos führt zumeist, Bratsche und Violinen verstärken oder heben den Ausdruck in unerwarteter Deutung. Sculthorpe verfuhr sparsam mit den Mitteln, dicht im Satz. So gelang eine lyrisch-dramatische Musik, kongenial von den Brodskys gespielt.
Pawel Szymanski geht in seinen Fünf Stücken großzügiger mit spieltechnischen Effekten um. Der Pole schätzt das Zitat, läßt mal eine Haydn-Phrase verfremden, beugen, verzerren, mal ein altes pol- nisches Volkslied durchleuchten. Gerne nutzt er das darstellerische Vermögen der Kammermusik, etwa wenn er im Schlußsatz das Quartett in eine insistierende, schrille erste Geige und kleinlaute, renitente Gefolgsverweigerer teilt.
Die Pause brachte den Soundwandel: Black Angels – 13 Bilder aus dem Dunklen Land für elektronisches Streichquartett von George Crumb wurde über Lautsprecher mit Hall verstärkt. Das Tableau ist ein Kompendium revolutionärer Streichertechniken: Die Brodskys mußten mit den Bögen die Saiten schlagen, daran sägen, klopfen, reiben und entlockten ihren Instrumenten viele seltene Geräusche. Weil das dem Komponisten aber noch nicht genügt, setzt er dazu Gongs, gestimmte Wassergläser und Rasseln ein. Manchmal verlangt er Schnalzen und Stöhnen. Wozu braucht Crumb dieses große Klangarsenal? Er führt den Zuhörer durch einen Reigen nervensägender Schauermusiken, verblüfft ihn mit merkwürdigen Stimmungen zwischen Alarm und Tristesse. Aber wohin geht die Reise? Nirgendwohin. Allein der Wille zum Effekt und der garstige Humor des Autors verleihen dem Zyklus keinen überzeugenden Zusammenhalt.
Hilmar Schulz
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