Sonny Rollins über sein Musikerleben: „Loben Sie nicht mich!“
Jazzikone Sonny Rollins über seine Liebe zu Yoga, seine Überwindung von Lastern, über das Nichthören von Musik und seine Haltung zu Geld.
taz: Mr Rollins, warum praktizieren Sie seit Jahren Yoga?
Sonny Rollins: Ich praktiziere hauptsächlich die mentalen Formen Bhakti- und Karma-Yoga. Durch Yoga habe ich gelernt, mich mehr auf die Musik zu konzentrieren. Ich lernte, zielgerichtet zu agieren und meine Gedanken zu ordnen. Außerdem hilft es mir beim Versuch, im täglichen Leben ein gütiger und spiritueller Mensch zu sein. Die Atemübungen haben zudem meine Atmung beim Spielen deutlich verbessert.
Hat sich das Spielen von Jazz direkt auf Ihren Körper ausgewirkt?
Ja und Nein. Durch das Saxofonspielen fing ich an, das Leben eines Musikers, eines Künstlers zu leben. Ich trank viel, ich rauchte viel, all diese Dinge. Es war sehr schwierig, sich davon zu lösen. Als ich anfing, Yoga zu studieren, habe ich erkannt, wie wichtig es ist, meinen Körper zusammenzuhalten und einfach lebendig zu sein. Musiker zu sein, war also gut und schlecht für meinen Körper. Ich habe aber mein Leben lang Glück gehabt.
Stimmt es, dass Sie fast gar keine Musik mehr hören?
Nicht ganz. Es gab eine Zeit, in der ich gar keine Musik gehört habe. Wenn man so wie ich seit über 60 Jahren Musik macht, fühlt man sich zu Hause ohne Musik wie in den Ferien. Ganz aufhören mit dem Musikhören kann ich aber gar nicht, denn ich habe so viel Musik im Kopf. Ansonsten läuft bei mir Zuhause das Radio.
Hören Sie sich Ihre eigenen Aufnahmen an?
Nein, nie. Dafür bin ich zu sehr Perfektionist. Es fällt mir schwer, meine eigene Musik zu hören, weil ich ständig kritisiere, was ich spiele oder hätte besser spielen sollen. Seitdem ich mein eigener Produzent bin, muss ich mir selbst zuhören, das ist qualvoll. Früher hat meine Frau Lucille die Aufnahmen für mich durchgehört (Lucille Rollins starb 2004; Anm. d. Red.). Jetzt höre ich nur soviel wie nötig, um ein Album zu machen.
Der Mensch: Der Tenorsaxofonist Sonny Rollins, 83, ist eine lebende Legende und einer der letzten Jazzsolisten der Bebop-Generation. Er spielte mit Innovatoren wie dem Altsaxofonisten Charlie Parker, dem Pianisten Thelonious Monk oder dem Trompeter Miles Davis, mit John Coltrane pflegte er Rivalität und Freundschaft. Rollins hat unzählige, wegweisende Alben aufgenommen. Er hat nicht vor, seine Bühnenlaufbahn zu beenden.
Das Album: Am 2. Mai erscheint „Road Shows, Vol. 3“ mit Live-Aufnahmen von Konzerten in Frankreich, Japan und den USA aus den Jahren 2001 bis 2012. Sonny Rollins: „Road Shows Vol. 3„ (OKeh /Sony Music).
Wie erklären Sie sich, dass Jazzfans in aller Welt Freude an Ihren Aufnahmen haben?
Wenn jemand zu mir kommt und sagt, wie sehr er meine Arbeit verehrt, entgegne ich: „Danke, aber das bin ich nicht, die musikalische Begabung wurde mir nur in die Wiege gelegt“. Natürlich habe ich versucht zu üben, so gut ich konnte. Aber die Begabung kam nicht von mir. Loben Sie nicht mich. Loben Sie vielleicht die Lüfte.
Können Sie am Spiel eines Künstlers heraushören, wie alt er ist?
Nein, obwohl: Das ist für mich eine stilistische Frage. Im Jazz etwa durchläuft Musik bestimmte stilistische Veränderungen. Man spielt Musik, die einen geprägt hat. In den dreißiger und vierziger Jahren war es der Swing, in den Fünfzigern Bebop. Es gibt aber auch Musiker, die aus jeder Ära etwas spielen, nicht nur aus ihrer eigenen Zeit. Das Alter einer Person erkennt man also eher am Stil ihres Spiels.
Im Laufe Ihrer Karriere hat sich Ihre Umgebung fundamental gewandelt – die Ausbildung der Musiker, mit denen Sie spielen, deren Werdegänge.
Wenn man so lange dabei bleibt wie ich, ist jeder jünger als ich es jetzt bin. Ich habe hier wiederum großes Glück, ein Musiker sein zu können, dessen Spiel nicht von meinem Alter diktiert wird oder von der Musik aus der Zeit, in der ich aufwuchs. Die Leute sagen mir oft: „Sonny, du bist der Letzte, alle deine ehemaligen Kollegen sind tot“. Für mich stimmt das nicht. Auch wenn meine Freunde nicht mehr leben, ist ihre Musik Teil meiner Seele. Sie fühlt sich sehr lebendig an. Außerdem bin ich, anders als die meisten Musiker, ein sehr eklektischer Spieler. So habe ich zum Beispiel ein Album mit den Rolling Stones aufgenommen und auch Country&Western gespielt.
Was hat das Harlem Ihrer Kindheit mit dem von heute zu tun?
Das Harlem meiner Kindheit war ein äußerst musikalischer Ort. Aus dem ganzen Land kamen Bands, um im Apollo-Theater, Cotton Club oder im Savoy Ballroom zu spielen. In Harlem musste man am Besten sein. Ich bin mit Musik in den Ohren aufgewachsen. Heute haben viele Menschen keine Idee davon, was für ein bedeutendes kulturelles Zentrum Harlem war für schwarze Politiker, Intellektuelle und Musiker. Davon ist nicht mehr viel übrig. Früher gab es ganze Straßenblocks, in denen ausschließlich Schwarze lebten. Harlem wurde gentrifiziert, nun leben sehr viele verschiedene Menschen dort. Ich bin glücklich, dass ich dort war und in die Musik geraten bin. Alles was dann passierte, ist in Ordnung. So ist das Leben.
Welche Rolle spielten Jamsessions am Anfang Ihrer Karriere in den späten vierziger Jahren?
Jamsessions waren sehr beliebt, als ich anfing zu spielen. Sie haben den Musikern ermöglicht, zu zeigen, was sie draufhatten. Man musste gegen andere Kollegen antreten. Wenn also zwei Saxofonisten aufeinandertreffen, ist es unvermeidlich, dass die Leute sie vergleichen. Wenn sie den anderen besser finden als dich, gehst du nach Hause und übst, um besser zu werden als er.
Was waren Ihre Mittel, um besser zu sein?
Ich bin da nicht reingegangen um der Größte zu sein, so war es nicht. Viele dieser Typen spielten besser als ich. Du lernst etwas von jedem und bringst es zusammen. Jamsessions waren eine Erfahrung. Meine gottgegebene Begabung hat mir dabei geholfen.
Wie präsent waren Musikerinnen damals?
Das werde ich in letzter Zeit oft gefragt. Anscheinend sind Musikerinnen heute sehr wütend darauf, dass Frauen damals keine Chancen bekamen, zu spielen. Wir kennen die großen Sängerinnen Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan oder Bessie Smith. Aber es gab eben nicht so viele große Instrumentalistinnen wie Louis Armstrongs erste Frau Lil Hardin, oder die Tenorsaxofonistin Vi Burnside. Die Frau sollte bei den Kindern sein und kochen, so war die Gesellschaft damals.
An welchem Punkt in Ihrem Leben wussten Sie, dass Sie sich keine Geldsorgen mehr machen müssen?
Als Jazzmusiker macht man kein Geld. Als wir anfingen, ging es nicht darum, wie viel Geld jemand machte, sondern um die Musik. Als ich aufhörte, mir Sorgen um Geld zu machen, hatte das nicht damit zu tun, dass ich genug zum Leben hatte. Ich habe immer noch nicht viel Geld. Aber ich bete Geld nicht an. Ich hatte herausgefunden, je großzügiger ich war, desto mehr Geld kam zu mir. Und ich bin ein sehr großzügiger Mensch.
Was halten Sie von europäischem Jazz?
Ich höre mehr über europäischen Jazz als die Musik selbst. Danach scheint es sehr viele verschiedene Entwicklungen in Europa zu geben. Jazz aus Europa wird hier kaum gespielt. Ich bekomme nach wie vor viele Einladungen aus Europa. Nach rund einem Jahr, in dem ich nicht aufgetreten bin, möchte ich Ende dieses Jahres wieder auf die Bühne. Dann werden sicher auch viele meiner Freunde in Europa zu den Konzerten kommen.
Welche Saxofonisten haben von Ihnen gelernt?
Ich fürchte, ich bin zu bescheiden, um darauf zu antworten. Leute herauszustellen, die von mir gelernt haben, ist mir fremd. Es ist mir gleich, wer etwas von mir hat, von John Coltrane oder Ben Webster. Ich habe auch von anderen Leuten gelernt. Musik ist ein Kontinuum. Deshalb kann ich meinen Beitrag nicht isoliert betrachten.
Was braucht ein Jazzmusiker, um heute zu bestehen?
Er muss Jazz lieben und darf nicht erwarten, viel Geld zu machen. Wenn jemand so anfängt, hängt es von seinem gottgegebenen Talent ab, wie gut er wird. Ich fühle mich unwohl, wenn ich das Wort „Gott“ so oft benutze. Aber du musst von Geburt an mit musikalischem Talent beschenkt worden sein.
Bleiben Sie optimistisch, was die Zukunft des Jazz angeht?
Ja. Ich hoffe, dass Jazz immer mit uns sein wird und dass das Publikum ihn immer live erleben möchte, schließlich leben wir in einem technologischen Zeitalter. Wir Menschen werden es immer mögen, Künstler im Konzert auftreten zu sehen. Es gibt nichts Vergleichbares. Ich bin sehr dankbar für mein Leben und froh, dass ich etwas beisteuern konnte zum Vergnügen von Musikliebhabern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden