: Sonnenaufgang zum Bürgerkrieg
In Nigeria will heute ein Jugendführer des Igbo-Volkes in einer Flaggenzeremonie die vor 30 Jahren gescheiterte Sezession der „Republik Biafra“ wiederholen. Die meisten Igbo-Politiker sind dagegen, aber in Nigerias derzeitiger Krise ist alles möglich
aus Lagos JAHMAN ANIKULAPO
Ralph Uwazuruike konnte nicht warten. Vor den Augen 10.000 begeisterter Jugendlicher hisste er am Montag im ostnigerianischen Aba eine Fahne mit hohem Symbolwert: horizontale Streifen in Rot, Grün und Schwarz, darin die gelbe aufgehende Sonne – das Emblem der Republik Biafra, jenes kurzlebigen Sezessionistenstaats des Igbo-Volkes im Osten Nigerias 1967–70, dessen Niederwerfung damals über eine Million Menschenleben kostete.
Der provokative Akt war eine Generalprobe für den heutigen Samstag. Heute will Uwazuruike, Führer der „Bewegung für die Aktualisierung des Souveränen Staates Biafra“ (Massob), die Biafra-Flaggenzeremonie in Nigerias größter Stadt Lagos wiederholen und damit den Igbo-Staat formal wieder ausrufen – ein Akt, der, wäre er professionell geplant, zu einem neuen Bürgerkrieg führen könnte.
Viele etablierte Igbos bezweifeln aber, dass die erst seit fünf Monaten bekannte Massob eine seriöse Bewegung ist und dass Uwazuruike mehr ist als ein Jugendlicher auf der Suche nach Aufmerksamkeit. Über ihn selbst ist wenig bekannt. Wenn man ihn nach seiner Biographie fragt oder nach der Bedeutung seines Handelns, kriegt er einen Wutanfall. Er nennt sich einen gelernten Juristen, aber sein Englisch ist schlecht. Zur Zeit des Biafrakrieges war er ein Kleinkind. Außer ihm hat Massob keine bekannten Führer. Kritiker meinen, er kaufe sich mittellose Jugendliche, gebe ihnen Uniformen und schicke sie zu Versammlungen auf die Straße.
Dennoch – oder gerade deswegen – sieht Nigeria dem heutigen Tag mit Sorge entgegen. Die einmütige Kritik hat der als Ein-Mann-Bewegung gestarteten Massob erst richtig Prominenz gebracht. Dass die Neuausrufung von Biafra in Lagos stattfinden soll und nicht im einstigen Biafra selber, ist ein Unsicherheitsfaktor. Massob will die Staatsneugründung in mehreren Märkten von Lagos abhalten, wo es viele Igbo-Händler gibt. Hier würde eine Biafra-Flaggenhissung Igbo-Migranten anlocken, viele davon Waisen und Witwen des Krieges, verstärkt durch die zahlreichen arbeits- und perspektivlosen Jugendlichen in der Millionenstadt, die mit wenig Geld zu vielem zu bewegen sind.
Damit droht der 27. Mai ein Tag der Intrigen in einer ohnehin brodelnden Stadt zu werden. Der „Oodua People’s Congress“ (OPC), eine für krude Gewaltanwendung bekannte bewaffnete Gruppe des um Lagos beheimateten Yoruba-Volkes, hat Massob gewarnt: Lagos gehöre zum Yoruba-Land, und wer für die Igbos zu kämpfen behaupte, solle das im Igbo-Land machen. Solle Massob bei ihren Plänen bleiben, werde der OPC dagegen vorgehen. Dies bedeutet neues Blutvergießen in einer Stadt, wo ohnehin in den letzten Monaten zahlreiche Menschen bei Kämpfen zwischen OPC und anderen ethnischen Gruppen ihr Leben ließen.
So ist nicht verwunderlich, dass fast alle prominenten Igbo-Führer die Aktionen von Massob verurteilen. Die Gouverneure der Igbo-Bundesstaaten im Osten des Landes verkündeten vor kurzem, sie würden nicht zulassen, dass jemand das Igbo-Volk zur Erfüllung der „selbstsüchtigen Ambitionen ein paar Unzufriedener“ missbraucht. „In unseren Augen ist Biafra tot“, erklärte die Igbo-Kulturvereinigung Ohaneze Ndigbo. Sogar der einstige Führer des wirklichen Biafra, Chief Odumegwu Ojukwu, der von manchen als unsichtbare Hand hinter Massob gesehen worden war, versicherte Staatspräsident Olusegun Obasanjo, er habe damit nichts zu tun.
Doch gibt es reale Gründe für Uwazuruikes Argumente. Die Igbos wurden nie für ihre Verluste während des Krieges entschädigt; andere Ethnien in Nigeria blicken 30 Jahre nach dem Krieg immer noch auf sie herab. Seit im Februar wieder Hunderte Igbos bei Pogromen zwischen Muslimen und Christen im Norden Nigerias starben, entstehen unter den Igbo radikale Gruppen, die unter anderem die Rufe gemäßigter Igbo-Politiker nach der Umwandlung Nigerias in eine „Konföderation“ als ungenügend ablehnen. Uwazuruike selber sagt auch, die Igbo seien „Hauptopfer der Marginalisierung in unserem politischen System“, und fragt: „Wieso soll man eine Million Menschenleben verschwenden und 30 Jahre später von einer Konföderation reden?“
Mit seinem Verhalten bei der Flaggenzeremonie in Aba am Montag bestätigte Uwazuruike zunächst seine Kritiker. Er blieb gerade mal vier Minuten, bevor er auf seinem Motorrad davonrauschte. Seine Anhänger überließ er den schwer bewaffneten Sicherheitskräften. Zwei Jugendliche starben im Tumult, der auf die Flaggenhissung folgte.
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