: Songs als Flickenteppiche voller Melancholie
■ Die Musikerin Robin Holcomb rührt spannende Klang-Cocktails, seit sie nicht mehr nur jazzt. Über die Zutaten zu ihrer Musik sprach sie vor ihrem Konzert mit der taz
Die Pianistin, Komponistin und Sängerin Robin Holcomb geht ihre Musik wie „eine intellektuelle Handwerkerin“ an. So zumindest urteilt ein Kritiker von der New Yorker Village Voice. Die Musikerin kommt ursprünglich aus dem New Yorker Jazz-Stall und ist mit dem Star dieser Szene, Wayne Horvitz, verheiratet. Seit einigen Jahren versucht sie, eine neue Musik der amerikanischen Provinz zu kreieren, indem sie Country-Rock, minimalistische Pianomusik, Lieder des US-Bürgerkriegs, baptistische Hymnen, Volkslieder aus den Appalachen und die polytonale Musik von Charles Ives miteinander vermischt. Was dabei herauskommt, verriet sie im taz -Interview.
taz: Frau Holcomb, Sie machen jetzt eine ganz andere Musik als in den Zeiten, als Sie das New York Composers Orchestra gegründet haben, und man glaubt, Ihre neueren Songs könnten gar nicht in New York entstanden sein. Hat Ihr Umzug nach Seattle vor zehn Jahren Ihren Stil beeinflusst?
Robin Holcomb: Das ist mir so nicht bewusst, diese Vorliebe für Folkmusik hat aber tatsächlich lange nur in mir geschlummert. Bevor ich nach New York gezogen bin, habe ich als 20-Jährige in North Carolina ein paar Jahre lang eine Farm betrieben, auf der ich Tabak und Tomaten angebaut habe, und in dieser kleinen, sehr abgeschlossenen Berggemeinde gab es noch Menschen, die glaubten, die Erde sei flach. Die Hauptattraktionen im Winter waren die Beerdigungen, und man hörte im Grunde nur sehr wenig Musik, aber dort habe ich offensichtlich meine Vorliebe für Hymnen, alte Lieder aus dem amerikanischen Bürgerkrieg usw. entwickelt.
Ihre Stil-Mischungen werden oft mit Flickenteppichen verglichen. Verwenden Sie einen besonderen Ehrgeiz darauf, die Genres auf möglichst überraschende Weise zu verbinden?
Bei mir ist das Komponieren kein intellektueller Vorgang. Ich habe nur scheinbar ein Ohr für diese Verbindungen, die für mich ganz offensichtlich sind. Und ich will nicht etwa eine Synthese aus Folk, Jazz, klassischer Musik und Pop machen.
Faszinierend ist bei Ihrer Musik die Spannung zwischen Einfachheit ud Raffinesse. Die Lieder klingen einerseits sehr schlicht und minimalistisch, andererseits aber auch extrem kunstvoll und verschachtelt.
Ich komme vom Free-Jazz und von da habe ich diese Vorliebe für das chaotische Improvisieren. Und auf der andren Seite bin ich eine Poetin, die ihre Gedichte vertont, dabei so viel wie möglich reduziert und auch die Songs so einfach wie möglich hält. Aber mir ist auch aufgefallen, dass andere Sängerinnen oft viel größerer Schwierigkeiten mit meinen Liedern haben als ich. Sie scheinen also nur so einfach.
Einige Kritiker warnen ja auch förmlich davor, dass Sie in ihren Konzerten etwa einen Set lang nur „lange Jazz-Erforschungen“, und danach dann Ihre Songs spielen. Darf auch das Bremer Publikum so etwas erwarten?
Ich werde bei meinem Auftritt zwischen Songs, Klavierstücken und Improvisationen wechseln. In den USA gibt es einerseits solche Zuhörer, die mich nur als Jazzmusikerin kennen, und auch solche, die meine Songalben kennen, und für die ist es dann jeweils ein Schock, mit meiner anderen Seite konfrontiert zu werden. Aber für mich fühlt sich das alles gleich an.
Die meisten Ihrer Lieder haben eine eher melancholisch, düstere Grundstimmung. Entspricht das Ihrem Naturell?
Ich bin nicht gerade ein überschwänglicher Mensch, versuche aber gerade in letzter Zeit, einige fröhlichere Lieder zu schreiben, und merke, wie schwer mit dies fällt. In den dunklen Stimmungen bin ich heimischer. Ich habe vor einiger Zeit die wunderschöne Erfahrung gemacht, dass mich nach einem Konzert jemand ansprach und sagte, ein bestimmter Song hätte genau ausgedrückt, was er über einen Freund empfunden habe, der gerade gestorben sei. Das war deshalb etwas besonderes, weil das Lied eher abstrakt aufgebaut war, und ich selber weiß ja nie ganz genau, wozu sich bei meinen Kompositionen alles zusammenfügt.
Fragen und Übersetzung:
Wilfried Hippen
Robin Holcomb tritt heute, Freitag, um 20 Uhr im Moments auf.
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