: Sonette, zum Tanzen gebracht
Welche Bücher ich gerne verlegen würde (4):Rebekka Göpfert, Leiterin des Literaturprogramms im C. H. Beck Verlag
Hätte ich einen eigenen Verlag und läge der wunderbare Sonnettzyklus „Das Schmetterlingstal/Sommerfugledalen“ der dänischen Lyrikerin, Essayistin und Romanautorin Inger Christensen nicht bereits in zwei (!) sorgfältig edierten Ausgaben auf Deutsch vor – einmal im Kleinheinrich Verlag zusammen mit einer CD, auf der die Autorin selbst liest (ein Hörgenuss, den man sich nicht entgehen lassen sollte), und einmal bei Suhrkamp, versehen mit einem hervorragenden Nachwort von Thomas Sparr, in beiden Fällen in der meisterhaften Übersetzung von Hanns Grössel – dann würde ich keine Sekunde zögern und dieses Buch als Haupttitel ins Programm aufnehmen.
Und warum? Weil Inger Christensen das Flimmern des Sommers beschreibt wie niemand anders. Weil es ihr gelingt, die klassische Form des Sonetts zu verbinden mit dem ungebändigten Flattern und Schweben eines Schmetterlings. Und weil ihre Lyrik nichts von der Unantastbarkeit hat, die mich sonst häufig vom Lesen und Verlegen von Gedichtbänden abhält.
Die Ausschreibung dieser Kolumne sah vor, dass man nur über ein einziges Buch schreibt, aber wenn ich ehrlich bin, so möchte ich von Inger Christensen nicht nur „Das Schmetterlingstal“ verlegen, sondern sämtliche ihrer Gedichte. Und am liebsten auch noch ihre im letzten Jahr bei Hanser unter dem Titel „Der Geheimniszustand“ verlegten Essays, in denen sie ihre Poetik auf wunderbar klare und unprätentiöse Art darlegt. „Mein Gedicht“, schreibt sie darin, „wird dasselbe Verhältnis zum Weltraum haben wie das Auge, das seine eigene Netzhaut nicht sehen kann. Jedenfalls aber sieht es. Und es liest weiter.“
Zurück zum „Schmetterlingstal“: Inger Christensen greift hier den Sonnettkranz auf, eine relativ strenge Zyklusform, die eigentlich aus dem Barock stammt. Der Kunstgriff der Autorin – und darin ist gleichzeitig die Faszination ihres Werkes auf mich begründet – liegt in der Zusammenführung von Logik und Mathematik mit der vermeintlichen Unordnung von Sprache: Sie schafft daraus ein Labyrinth, das seiner ganz eigenen Ordnung gehorcht. Mit unglaublicher Leichtigkeit gelingt es ihr, das Muster des Sonetts plötzlich zum Tanzen zu bringen und vor dem Leser ein eigenes, entferntes, vielleicht schon fast vergessenes Land auferstehen zu lassen.
Inger Christensen schildert einen dänischen Sommer, gefüllt vom Summen der Insekten, vom Duft der Blumen, vom Rauschen eines sanften Windes. Vor diesem Hintergrund erzählt sie uns die Geschichte ihrer Vorfahren, ihrer Großmutter und ihres Vaters, die Geschichte vom Leben, an dessen Ende der Tod steht. Und gleichzeitig – der Rahmen ist hier mehr als nur ein Vorwand – entsteht eine Poetologie, die, wenn man sich einmal darauf einlässt, die Welt neu ordnet und erklärt. Das, was man uns immer zu trennen gelehrt hat, kommt plötzlich neu zusammen: Traum und Wirklichkeit, Chronik und Märchen, Ding und Idee, Chaos und Ordnung.
Wenn man über Lyrikbände schreibt, dann hat man das Glück, auch einen Teil ihrer Schönheit auf engem Raum wiedergeben zu können, und so soll doch wenigstens eines der Sonette – das erste – aus diesem Zyklus, über den ich stundenlang schwärmen könnte, hier noch zu lesen sein, in der Hoffnung, dass er beim Leser Lust auf die Fortsetzung, in der bekanntlich die letzte Zeile wieder aufgegriffen wird, oder besser noch: auf den ganzen Zyklus weckt (und wer der Autorin selbst zuhören möchte, gehe in www.titel-magazin.de/scandi/christensen.htm).
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