Sondierungsgespräche in Thüringen: Stachlige, aber nicht unerreichbare Brombeerkoalitionen
In Thüringen stehen CDU, BSW und SPD vor Koalitionsverhandlungen. In Sachsen dauert es mit dem Ausloten der Optionen etwas länger.
![Tilo Kummer (l-r, BSW), Andreas Bühl (CDU), und Katharina Schenk (SPD) stehen nebeneinander während einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Sondierungsgespräche zwischen CDU, BSW und SPD in der Erfurter Zentralheize Tilo Kummer (l-r, BSW), Andreas Bühl (CDU), und Katharina Schenk (SPD) stehen nebeneinander während einer Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Sondierungsgespräche zwischen CDU, BSW und SPD in der Erfurter Zentralheize](https://taz.de/picture/7306796/14/36800001-1.jpeg)
Das funktioniert erst einmal besonders gut durch Aussparen – vor allem bei den außenpolitischen Bedingungen, die BSW-Parteigründerin Sahra Wagenknecht genannt hatte: Klare Positionierung für den Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine, keine Stationierung neuer amerikanischer Raketen und Friedensverhandlungen mit Russland.
Dazu heißt es in dem Sondierungspapier lediglich auf der vorletzten Seite: Man wolle diesem Thema „in den kommenden Verhandlungen Raum verschaffen“ und es in der Präambel eines möglichen Koalitionsvertrages verankern. Auch die sächsische BSW-Landtagsfraktion hatte sich bei ihrer Konstitutierung in der Friedensfrage auffallend zurückgehalten.
Nach Informationen des Stern passt das Wagenknecht gar nicht. Sie setze demnach lieber auf die Tolerierung einer Minderheitsregierung durch das BSW als auf eine Koalition. Wenn am Freitagabend der BSW-Landesvorstand ebenso wie die anderen beiden Parteien über die Aufnahme formaler Koalitionsverhandlungen entscheidet, wird nach Aussage des Parlamentarischen Geschäftsführers Tilo Kummer allerdings „niemand aus Berlin dabei sein“.
Schuldenbremse mit Ausnahmen
Einigkeit herrscht über einen „Richtungswechsel in der Migrationspolitik“: Eine zentrale Ausländerbehörde soll eingerichtet werden, die sowohl Anerkennungen als auch Abschiebungen schneller bewältigt. Abschiebehaftplätze sollen in Thüringen erstmals eingerichtet werden. Die Erstaufnahmeeinrichtungen in Suhl und Eisenberg sollen geschlossen werden.
Unumstritten scheint bislang auch die prinzipielle Beibehaltung der Schuldenbremse zu sein, auch wenn Ausnahmen möglich sein sollen. Der noch von Finanzministerin Heike Taubert (SPD) eingebrachte Haushaltsentwurf müsse alle Rücklagen angreifen. Für Andreas Bühl von der Union ist die überarbeitete Haushaltsaufstellung ein Grund, warum Koalitionsgespräche besonders drängen.
An erster Stelle im Sondierungspapier steht die Bildungspolitik, ein Kernthema der CDU. Schulen sollen beispielsweise mit einem Budget mehr Eigenverantwortung erhalten. Das BSW setzt auf soziale Themen wie Wohnungsbau, gerechte Löhne im Niedriglohnland Thüringen, auf Bürgerbeteiligung und sogar auf ökologische Akzente bei der Energieproduktion. Ähnlich die SPD, der der Einstieg in ein kostenfreies Kindergarten-Mittagessen und eine freie Hortbetreuung wichtig sind. Landeskomponenten wie ein Landespflegegeld und sogar Rentenzuschüsse und steuerliche Entlastung von Senioren stehen ebenfalls auf ihrer Agenda.
Im Thüringer Landtag sitzen in dieser Legislatur nur noch CDU, SPD, BSW, Linke und AfD. Eine eigene Mehrheit erreichen die potentiellen Brombeer-Partner nicht. Andreas Brühl von der CDU verweist auf die 44 Parlamentssitze, auf die die angebahnte Koalition käme – also genau die Hälfte der 88 gewählten Abgeordneten. Das sei eine „De-facto-Mehrheit“, so Bühl – weil auch nichts gegen die Koalition beschlossen werden könne.
Wie wird's mit der Linken?
Mit der AfD will formal niemand gemeinsame Sache machen, jedenfalls keine „aktive Zusammenarbeit“, wie es Bühl für die CDU formuliert. Als Mehrheitsbeschafferin könnte hingegen die Linke auftreten. Der noch amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow hat dafür eine Vereinbarung gefordert wie es ihn in ähnlicher Form schon in der letzten Legislatur gegeben hatte.
2020 hatte die CDU nach dem Eklat bei der Wahl des Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) durch die AfD einem so genannten Stabilitätsmechanismus zugestimmt: Beim Haushalt und in Sachfragen einigte man sich von Fall zu Fall mit der rot-rot-grünen Minderheitskoalition.
„Es braucht für eine Ministerpräsidentenwahl keine Vereinbarung mit der Linken“, erklärten allerdings sowohl die CDU als auch der Ex-Linke und jetzt BSWler Tilo Kummer. Für dieses Amt wird vermutlich der CDU-Partei- und Fraktionschef Mario Voigt kandidieren.
Stattdessen haben sich die drei Parteien auf ein interessantes neues „prälegislatives Konsultationsverfahren“ zur jeweiligen Mehrheitsbeschaffung verständigt. Bevor ein Gesetzentwurf der Regierung formal dem Landtag zugeht, sollen sich alle Fraktionen unter Einschluss der AfD schon mit Eckpunkten dieses Vorhabens beschäftigten. Die sollen ihnen über den Landtagspräsidenten zugehen.
Sachsen nimmt sich Zeit
Stimmen am Wochenende die drei Landesvorstände zu, könnten in der kommenden Woche die Modalitäten offizieller Koalitionsverhandlungen geklärt werden. „Es verbleiben gar keine großen Differenzen“, übte sich Andreas Bühl für die CDU in Optimismus. „Niemand hat ein Interesse, acht Monate Verhandlungen zu führen“, mahnte für die SPD auch Katharina Schenk zur Eile.
Eile ist in derweil in Sachsen, wo im September ebenfalls gewählt wurde, so nicht zu verspüren. Am vergangenen Mittwochabend haben CDU, BSW und SPD zunächst ihre dreitägigen intensiven „Kennenlerngespräche“ abgeschlossen. Sondierungsgespräche sollen erst noch folgen. Darüber wird ebenfalls bis zum Wochenende in den Landesgremien entschieden.
Der Trend deutet auch hier auf Kompromisse für eine Koalition hin. Wie in Thüringen sind auch in Sachsen die Verschärfung der Asylverfahren und eine Haushaltspolitik, die auch Investitionsspielräume schafft, zentrale Punkte. Anders als offiziell in Thüringen behauptet, will sich BSW-Landesvorsitzende Sabine Zimmermann aber ausführlich mit Sahra Wagenknecht abstimmen.
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