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Sondersitzung in staubiger Atmosphäre

In einem nordirakischen Nest beschließen kurdische ParlamentarierInnen, Neuwahlen um ein Jahr zu verschieben / Parteipolitiker zeigen sich optimistisch, obwohl dazu wirklich kein Anlaß besteht  ■ Aus Daraben Cristina Karrer

In der kurdischen Geschichtsschreibung tauchte das Dorf Daraben bisher nicht auf. Zwischen kilometerlangen Weizenfeldern liegt es in der weiten Ebene um die kurdische Hauptstadt Erbil im Norden des Iraks. Wenn Daraben überhaupt für etwas bekannt ist, dann für seine Stürme, die den BewohnerInnen oft tagelang Staub in die Augen treiben.

Dieser Samstag ist so ein Sturmtag. Die Moschee, der zentrale Ort des Geschehens, verschwindet in Staubwolken, als von zweierlei Richtungen elegant gekleidete Männer und Frauen eintreffen und das Gotteshaus mit Gemurmel erfüllen. Die BesucherInnen sind kurdische ParlamentarierInnen. Bis Ende letzten Jahres hatten sie sich im Parlamentsgebäude von Erbil getroffen. Dort lenkten fünfzig Mitglieder der „Patriotischen Union Kurdistans“ (PUK), fünfzig von der „Demokratischen Partei Kurdistans“ (KDP) sowie fünf von der „Assyrischen Bewegung“ das Schicksal des seit vier Jahren de facto unabhängigen kurdischen Teils des Iraks. Sie beschlossen Gesetze, berieten in Kommissionen und lieferten Grundlagen für Entscheide einer kurdischen Regierung. Daß in dem Parlament gewisse Aghas das Sagen hatten, daß Demokratie nicht unbedingt so verstanden wurde wie in Europa, war ein offenes Geheimnis. Aber auch europäische Demokratien sind nicht immer lupenrein, und zudem tagte das kurdische Parlament in einer außerordentlich demokratiefeindlichen Region.

Vor einem Jahr begannen jedoch PUK und KDP gegeneinander um Macht und Zolleinnahmen zu kämpfen. Das Parlament verkam zur Farce. Seit Anfang dieses Jahres ist es komplett gelähmt. Sitzungen fanden keine mehr statt. Während die ParlamentarierInnen dazu verdammt waren, Däumchen zu drehen, konsolidierten sich PUK und KDP in den jeweils von ihnen kontrollierten Gebieten. An der türkisch-irakischen Grenze hat die KDP das Sagen. Die PUK kontrolliert den Süden und eroberte Erbil.

Obwohl derzeit ein Waffenstillstand mehr oder weniger eingehalten wird, streben die beiden Parteien weiter auseinander. Der bisher mit Kalaschnikows geführte Krieg scheint sich in einen Wirtschaftskrieg zu verwandeln. Beide Parteien versuchen, die jeweils andere als Wirtschaftsmacht in den Schatten zu stellen. Zünglein an der Waage spielt der Iran. Bisher hatte die KDP durch die Kontrolle der Grenze zur Türkei enorme Einkommensvorteile. Mit iranischer Duldung gelang es der PUK jedoch, weite Teile der iranischen Grenze unter ihre Kontrolle zu bringen. Danach öffneten die Iraner einige Grenzübergänge. Dort kassieren nun Peschmerga der PUK Zollgebühren. „Die KDP weigerte sich, nach Erbil zu kommen, weil die Stadt von der PUK besetzt ist. Die PUK wollte nicht nach Salahadin, weil dort das Hauptquartier der KDP ist“, erklärt Necim Omar Surtshi, warum sich die ParlamentarierInnen ausgerechnet in Daraben zusammengefunden haben. Das Dorf an der Grenze zwischen den von KDP und PUK beherrschten Gebieten gilt als Hochburg der Konservativen Partei Kurdistans (KPK), deren stellvertretender Generalsekretär Surtshi ist. Die KPK und sechs andere kleine kurdische Parteien sind momentan die einzigen akzeptierten Vermittler zwischen PUK und KDP.

85 der ingesamt 105 kurdischen Abgeordneten sind über holprige Sandstraßen nach Daraben gekommen. Doch in der Moschee halten sie es nur eine Viertelstunde miteinander aus. Die Sitzung hatte praktisch nur einen Tagesordnungspunkt. Parlamentspräsident Jawar Namik stellt sich vor die Mitglieder und läßt über eine Verschiebung der eigentlich anstehenden Neuwahlen abstimmen. Das Votum für die Verschiebung fällt einstimmig. Danach erklärt der Präsident die Sitzung für geschlossen.

„Diese Sitzung war historisch. Zumindest haben wir uns selbst nochmals eine Chance gegeben“, erklärt anschließend der Fraktionsführer der KDP, Franzo Hariri. „Ob wir sie wahrnehmen? Ich weiß nicht, bis jetzt hatte es nicht den Anschein. Aber vielleicht werden wir gescheiter.“ Sein Kollege Kemal Fuad von der PUK zeigt sich ebenfalls gedämpft optimistisch: „Die Grundlagen für die nächsten Wahlen sind nun gegeben. Wenn wir die Probleme im Dialog lösen, bin ich sicher, daß wir einen gemeinsamen Weg finden werden.“

Die meisten einfachen ParlamentarierInnen allerdings sind pessimistisch. „So wie es aussieht, werden auch nächstes Jahr keine Wahlen stattfinden“, meint Sellam Khan, PUK-Parlamentarier und Sohn eines mächtigen Stammesführers.

Richtig hoffnungsvoll sind einzig einige BewohnerInnen von Daraben. Sie vertrauen auf die Kraft der Vernunft. „Sie müssen Wahlen abhalten. Sonst sind sie doch total unglaubwürdig“, meint ein junger Bauer, während er vom Dach seines Lehmhauses beobachtet, wie die ParlamentarierInnen wieder in ihre Autos und Busse steigen. „Sie haben es probiert, da wird es wohl nicht umsonst gewesen sein“, unterstützt ihn seine Frau energisch. Von den davonbrausenden Fahrzeugen sind nur noch Staubwolken zu sehen.

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