: Sonderschullehrer ließen die Griffel fallen
■ Pädagogen wehren sich gegen „höchste Unterrichtsverpflichtung des Jahrhunderts“
Die Sonderschullehrer haben gestern die seit den Sommerferien vorherrschende Protest-Abstinenz durchbrochen. Unter dem Motto „Fünf nach Zwölf“ hatte die GEW-Fachgruppe Förderschulen die rund 800 Kollegen aufgefordert, zu dieser Uhrzeit „die Griffel fallen zu lassen“ und zur Podiumsdiskussion in die Schule Pröbenweg (Hamm) zu kommen. Rund 200 kamen.
Sonderschulpädagogen fühlten sich durch die für 1995 geplante Erhöhung der Arbeitszeit besonders gestraft, eröffnete der Lehrer Uli Hoch die Debatte. Sei es doch die dritte Arbeitszeitverlängerung in drei Jahren. Erst 1992 war die Unterrichtsdauer an den 17 Förderschulen für lernbehinderte Kinder von 40 auf 45 Minuten erhöht worden. Damals hätten SPD-Politiker versichert, mehr Kürzungen werde es nicht geben, erinnerte Hoch. Doch es folgte 1994 die Streichung der „Poolstunden“ für belastete Lehrer. Zusammen mit der nun angekündigten Erhöhung auf 27 Wochenstunden kämen Sonderschulen auf die „höchste Unterrichtsverpflichtung dieses Jahrhunderts“.
Die Lage seiner Schule sei gespannt, sagte Pröbenweg-Lehrer Stefan Rommey. Die Schüler kämen aus sozialen Brennpunkten. Die Lehrer seien erschöpft, es gebe eine Fehlquote von 20 Prozent. Rommey: „Nur weil wir an die Schüler denken, halten wir den Betrieb aufrecht“. Hinzu komme, daß die Stundentafel seit 30 Jahren nicht verbessert wurde. Förderschüler hätten weniger Anspruch auf Unterricht als Hauptschüler.
„Der Senat hat nicht kapiert, daß man Lehrkräften, die pädagogisch an vorderster Front stehen, nicht ständig vors Schienbein treten darf“, sagte der GAL-Politiker Kurt Edler. Schulen an sozialen Brennpunkten müßten bei Sparmaßnahmen „tabu“ sein.
Innerlich unbeteiligt wirkte der zuständige Oberschulrat Jürgen Wurst. Auf die Frage, warum Sonderschullehrer die zusätzliche Arbeit nicht in Form einer „Präsenzstunde“ ableisten können, wie es anderen Schulformen zugestanden wird, sagte er: „Die Politik mußte irgendwann ihre Entscheidungen treffen.“ Er sei nur „kleiner Erfüllungsgehilfe der Politik“.
Der Kritik stellte sich auch der schulpolitische Sprecher der SPD, Günter Frank, der nach dem Hinweis auf die miese Haushaltslage zur Flucht nach vorn ansetzte: „Wir haben nicht mehr. Wir bekommen nicht mehr.“ Nun müsse man ein Arbeitszeitmodell entwickeln, das die unterschiedliche Belastung der Lehrer besser berücksichtigt. Bei GEW-Frau Gudrun Zimdahl biß er damit auf Granit: „Wenn wir die Belastung der Kollegen gegeneinander ausspielen, kommen wir in Teufelsküche.“ kaj
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen