■ Sondermüll wird umdeklariert und so billig „entsorgt“: Strenge Gesetze, laxe Behörden
Seit 1972, seit es ein Abfallbeseitigungsgesetz gibt, versucht der Staat, durch immer strengere Auflagen Mensch und Umwelt vor den giftigen Rückständen aus Produktion und Privathaushalten zu schützen. Das ist sehr lobenswert. Sondermüll muß mit einigem Aufwand möglichst unschädlich gemacht werden. Das ist sehr teuer.
Hier liegt auch schon das Problem. Die strengen Gesetze kombiniert mit einer laxen Exekutive laden geradezu zu illegalen Handlungen ein. Eine Entsorgungsfirma kann entweder an die tausend Mark für die ordnungsgemäße Vernichtung oder Deponierung einer Tonne Giftmüll ausgeben. Oder – das Papier der Begleitscheine ist geduldig – sie verwandelt Wasser in Wein, wie das eine Staatsanwältin formulierte: Die Firma deklariert das Gift in besten Humus um und läßt sich diese vermeintlichen Wertstoffe auch noch bezahlen. Oder sie exportiert den Sondermüll als angeblich recycelbares Kunststoffgranulat in das ehemalige Bürgerkriegsland Libanon oder andere Länder, die sich mangels funktionierender staatlicher Kontrollen schlecht wehren können.
Die beiden in den letzten Tagen ans Licht gekommenen Umweltskandale sind mitnichten Einzelfälle. Die Beute aus solchen kriminellen Machenschaften ist gigantisch, das Risiko, erwischt zu werden, minimal. Der Staat nämlich sorgt sich nicht selbst darum, was mit dem Giftmüll geschieht. Er läßt „entsorgen“ – gemäß der herrschenden Ideologie, die private Wirtschaft könne alles besser. Gänzlich aller Sorgen entledigt er sich schließlich, indem er ein paar Dutzend Beamte dafür abstellt, Hunderttausende Sondermülltransporte im Jahr zu überwachen.
Doch was wäre die Alternative? Bei 10.000 Erzeugern von Sondermüll sowie alljährlich 100.000 anfallenden Begleitscheinen für Transporte allein in Berlin und Brandenburg wäre ein wahrer Polzeistaat nötig, um eine halbwegs sichere Überwachung zu gewährleisten: in jedem Müllwagen ein Kripobeamter, um jede Deponie ein Kordon von Polizisten. Schon spricht der sächsische CDU-Umweltminister Arnold Vaatz von einer Kronzeugenregelung für Müllschiebereien.
Allein das ist teuer. Die Rechnung, daß private Firmen billiger als staatliche Behörden arbeiten würden, geht nur auf, wenn die Einhaltung der strengen Abfallgesetze auch weiterhin so wenig wie bisher überwacht wird. Im Interesse der Umwelt muß der Staat zu seiner Verantwortung stehen und selbst vom Erzeuger bis zur Deponie die Entsorgung von Giftmüll in die Hand nehmen. Nicola Liebert
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