piwik no script img

■ Sonderforscher untersuchen sächsische IdentifikationsangeboteRenaissance der Regionalen

Wir kennen die Sachsen. Wir kennen auch das Land Sachsen. Beides zur Genüge. Topografisch gesehen, ist Sachsen ein etwas zu breit geratener Streifen aus Erde, ein schief postierter Klumpen aus Schiefer und Sandstein und Müll. Es verwundert daher niemanden, wenn die Autochthonen den Fremden leicht geneigten Hauptes begegnen und dann fix in irgendein Prästadium der Kommunikationsanbahnung abgleiten.

Neuerdings beobachten wir, daß der Sachse busladungsweise unter Gebrauch garstiger Wörter nach Tschechien einfällt, dort Tausende Gartenzwerge und Bruttoregistertonnen Becherovka kauft, dazu Gulasch und Semmelknödel frißt und „ä Bior“ säuft. Zur Verdauung präferiert er sexuellen Nießbrauch an/mit den netten Zigeunerinnen, ja, es will fast scheinen, als wenn der vormalige Sudetengau zum kleinen Thailand des Sachsen würde. Die Langmut der Gastgeber ist bewundernswert.

Wir beobachten ebenso, daß der Sachse in seinen verschiedensten Ausformungen die zeitgenössische Politik mitgestalten möchte. Obwohl das schon mit Walter Ulbricht und den Leipziger Montagspolonäsen gründlich in die Hose gegangen war, mischen unentwegte Mundartgenossen die politische Landschaft unserer Republik auf. Gunda Röstel, Arnold Vaatz, Heinz Eggert. Ein Abgrund größer als der andere.

Wer das Wagnis scheut, den Sachsen in seinem Habitat aufzusuchen, hat ihn sicher und in meist viel zu großer Anzahl (mehr als null) in seiner nächsten Umgebung wahrnehmen können. Als Supermarktkassiererin, als Putze, als Bauarbeiter oder einfach nur als Eisenbahnerpresser. Man erkennt ihn nicht in erster Linie an seiner Tracht – mittlerweile hat er längst seinen Frieden mit dem mitteleuropäischen Kleidungsstil gemacht –, nein, es ist die ihm eigene Lautformung. In der Forschung wird immer noch angenommen, daß der Weltenbeweger bei der Erschaffung des Sachsen das Wörterbuch gerade mal außer Reichweite gehabt haben muß. Das Ergebnis ist erschütternd: Diese Ethnie kennt keine Vokale, nur Umlaute. Und da nur welche, die wir nicht kennen. Der Rest rattert durch ein schütteres System aus endlos aneinandergereihten Hilfsverben und Hilfszeitwörtern. Wir ersparen uns an dieser Stelle unappetitliche Details. Hinzu kommt, daß seit Anbeginn des Sachsentums der Sachse auf unfruchtbarem Boden siedelt und daher mangels sinnvoller Beschäftigung den lieben langen Tag nichts als plappert und Unmengen lauwarmen Kaffee schlürft. Bis auf den heutigen Tag.

Kaum eine Mundart jedoch hat es im interregionalen wie auch internationalen Vergleich so weit gebracht, daß allein schon winzigste Vorboten einer Intonation die Menschheit spalten: Die eine Hälfte läuft einfach davon. Die andere lacht sich auf der Stelle kaputt. Das mag vielleicht erklären, warum es so viele sächsische Kabaretts gibt – genaugenommen gibt's nirgendwo auf der Welt so viele Kabaretts pro Einwohner wie in Sachsen. Der interpretiert die Sache natürlich anders und behauptet, Humor zu besitzen. Den Unterschied von Lachen und Auslachen versteht er nicht.

Ein weiterer Irrtum ist, daß er sich sämtlichen Bundesländern verbunden fühlt, in denen mindestens einmal das Wort Sachsen vorkommt, nicht einmal die Angelsachsen sind vor ihm sicher. Von allen anderen fühlt er sich nicht nur akustisch unverstanden. Im Süden fletscht der tschechische Balkan seine Zähne, im Osten schreien Schlesier und Sorben nach Autonomie, die Brandenburger wollen Brandenburger bleiben, Thüringer und Franken tun so, als ob es ihn nicht gäbe.

Anders dagegen eine offensichtlich zu wirklich allem entschlossene Schar Professoren und Doktoren aus anderen Bundesländern, die die Sachsen nicht so kennt und die im Rahmen eines Sonderforschungsbereiches (SFB) erkunden möchte, was denn so die sächsischen Identifikationsangebote wären. Bis mindestens zum Jahr 2008 sind Intervallstudien anberaumt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gibt ihnen dafür Geld (1,5 Millionen Mark), die Uni Leipzig ein Dach über den Kopf, und dann gehen sie die Leute in Sachsen Sachen fragen. Da wird mal so richtig geforscht: Elitendiskurse, Institutionen, Organisationen und Identitätsbildung, Alltagshandeln, Erfahrungen, Denkmuster und Umgangsformen, der Raumbezug als Sinnordnung etc. pp. All das gilt es nach Meinung dieser Damen und Herren zu ergründen. „Das Verständnis des Aufbaus von Loyalitätsbeziehungen im Wege regionenbezogener Identifikationsprozesse wird [...] zum missing link im Verständnis von Renaissance oder Persistenz des Regionalen.“ Halt, anders: „Es ist offensichtlich, daß ein substantialistischer Regionenbegriff das Energie- und Aktionspotential, das wir als konstitutiv für die Persistenz des Regionalen ansehen, nicht wirklich erfassen und erklären kann.“

Man hört es förmlich vor Spannung knistern bei der gemütlichen Pressekonferenz im Rektoratsgebäude der Leipziger Uni. Und man merkt, die Herrschaften sind noch nicht lange in Sachsen.

Schätze, schon bei den ersten tapsigen Schritten durch dieses sinistre Paralleluniversum werden sie den Tag ihrer Geburt verfluchen. Sie seien hiermit aufrichtig gewarnt. Aufrichtigst gewarnt. Michael Rudolf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen