Sommerkomödie mit Greisen: Die Kraft der kleinen Gesten
In Gianni Di Gregorios "Festmahl im August" spielen die Alten die Hauptrolle - aber anders, als man erwartet. Eine wohltuende Abkehr vom Zwang zur Jugendlichkeit.
Was das Alter doch für einen Unterschied macht: Eigentlich ist "Das Festmahl im August" eine Sommerkomödie, die von dem handelt, wovon Sommerkomödien handeln sollen: von kleinen alltäglichen Problemen, die sich auf relativ leichte Weise lösen lassen, vom Kennenlernen und dem unverhofften Glück neuer Gemeinschaften, von der sinnlichen Freude an gutem Essen, gutem Wein und gutem Schlaf - kurzum: vom Genuss am Leben. Tatsächlich gibt es all das in "Festmahl im August", mit eben dem winzigen Unterschied, dass, ganz anders als in einer Sommerkomödie erwartet, das Durchschnittsalter der Figuren einiges über 60 Jahre liegt.
Mit nicht ganz 60 Jahren ist Gianni noch der Jüngste von ihnen. Regisseur und Autor Gianni Di Gregorio spielt ihn selbst, mit einer für einen Debütanten bemerkenswert unaufdringlichen Selbstironie. Die erste Szene zeigt ihn beim Vorlesen für die Frau Mama, einer hochbetagten Dame, deren grellrot lackierte Nägel und hochtoupierte Perücke darauf schließen lassen, dass man auf die äußerliche Erscheinung in dieser Familie großen Wert legt, auch wenn die Umstände - die römische Altbauwohnung der beiden hat sichtlich bessere Zeiten gesehen - sich schwierig gestalten.
Gianni trägt das gebügelte rosa Hemd über den Jeans, das graue Haar kurz geschnitten und gut frisiert, allein die Tränensäcke geben Hinweise auf einen nicht ganz so gepflegten Lebensstil. Beim Lebensmittelhändler bestellt er am helllichten Tag einen "Bianchetto", der Blick aufs Etikett verrät den Weingenießer, der tiefe Schluck entlarvt den Gewohnheitstrinker.
Nein, die "Situation" habe sich nicht verbessert, antwortet er dem Verkäufer. Ohne dass man Genaueres erfahren würde, hat man über diesen Gianni schon viel begriffen: ein in den Tag hinein lebender, alteingesessener Römer und typisch italienischer "Mammone", der das Dolce Vita nie für eine Familiengründung aufgeben wollte und nun, selbst alt geworden, seine alte Mutter nicht mehr verlassen kann.
Es sind die Details, der Blick für die kleinen Gesten, die auf das Ganze schließen lassen, die diesem Film seine unnachahmliche Mischung aus Tiefe und Leichtigkeit verschaffen. Man fühlt sich an die große Zeit der italienischen Sommerkomödien der Fünfziger- und Sechzigerjahre erinnert, dem Balanceakt zwischen Spott für die eigene Lebensart und der weisen Nachsicht mit den menschlichen Dilemmata.
Da wäre die etwas übertrieben fürsorgliche Art, mit der der Hausverwalter Gianni im Treppenhaus abfängt und ihm die Einkäufe aus der Hand nimmt - man ahnt, dass diesem Gefallen eine Nötigung folgt. Der freundschaftliche Ton, mit dem über unbezahlte Stromrechnungen gesprochen wird - am Ende steht das sprichwörtliche Angebot, das nicht abgelehnt werden kann. Der Verwalter will, dass Gianni für den Ferragosto, den Mariä-Himmelfahrt-Feiertag, seine alte Mutter bei sich aufnimmt, damit er selbst ans Meer fahren kann.
Als es so weit ist, bringt der Verwalter außer seiner Mutter, einer stattlichen Blondine namens Marina, gleich eine weitere Greisin, Tante Maria, mit. "Was hätte ich tun sollen, sie am Bahnhof stehen lassen?", rechtfertigt er sich gegenüber Gianni. Wieder sind es die beiläufigen kleinen Gesten, mit denen Di Gregorio seine Geschichte um die Widersprüchlichkeit des Lebens bereichert: Wie hier die Form gewahrt wird in einer leicht unangenehmen Situation, in der alte Frauen zum Hüten abgegeben werden, als handle es sich um kleine Kinder oder gar Haustiere. Der Vorgang zieht Kreise und binnen Kurzem steht ein weiterer Freund von Gianni mit seiner alten Mutter vor der Tür.
Von da an übernehmen die alten Frauen, allesamt gespielt von Laiendarstellerinnen in ihren späten 80ern und frühen 90ern, den Film. Giannis Mutter möchte ihr Fernsehgerät nicht teilen, Grazia hält sich nicht an die Diätvorschriften, Maria kann nicht aufhören, über ihr Nudelauflaufrezept zu reden, und Marina macht sich in Abendgarderobe heimlich davon, sodass Gianni sie suchen muss. Aber wie Frauen so sind: Schon beim nächsten Frühstück haben sie sich so viel zu sagen, dass alle gleichzeitig sprechen.
"Festmahl im August" ist das genaue Gegenteil jener Sorte "Best Ager"-Komödie, die um jeden Preis die Jugendlichkeit in alten Menschen entdecken zu müssen glaubt. Die vier Greisinnen in diesem Film wirken keinen Deut jünger, als sie sind - und diese Unverstelltheit, diese Abkehr vom Zwang zur Jugendlichkeit tut so gut, dass man am liebsten selbst in dieser Runde auf der Leinwand sitzen möchte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!