Sommerinterview mit Harald Wolf: "Ich hätte noch ein paar Ideen"
Die Krise ist in Berlin bislang zwar glimpflich verlaufen, aber noch sei sie nicht vorbei, sagt Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke). Ein Problem sei die Ausweitung des Niedriglohnsektors - dagegen setzt er auf Mindestlohnvorgaben bei öffentlichen Aufträgen.
taz: Herr Wolf, warum ist die Wirtschaftsverwaltung im Vergleich zum restlichen Senat eigentlich so unbedeutend?
Harald Wolf: Sind wir das?
Harald Wolf 53, ist seit 2002 Senator für Wirtschaft, Technologie und Frauen. Nach Berlin kam der gebürtige Offenbacher zu Studienzeiten; zwischenzeitlich lebte er mit seinem Bruder Udo und Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann in einer WG. Der Linke Wolf war bis 1990 selbst Mitglied der Grünen.
Die Sommerpause: Parallel zu den Schulferien macht auch das Abgeordnetenhaus Sommerpause. Es ist die vorerst letzte Ruhephase. Der nächste Sommer wird vom Wahlkampf geprägt sein: Im September 2011 wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Die taz nutzt die Pause, um in einer Interviewreihe auf die Wahl und die Themen zu blicken, die die Berliner bewegen. Am 15. Juli eröffnete den Reigen der grüne Fraktionschef Volker Ratzmann, am 22. Juli verriet Umweltsenatorin Katrin Lompscher ihre Klimaziele bis 2050, vergangene Woche provozierte Finanzsenator Nußbaum (parteilos) die Genossen von der SPD.
Die Linke: In den jüngsten Umfragen der Meinungsforscher liegen die Linken bei 15 bis 17 Prozent - nach der CDU mit 17 bis 19 Prozent. Grüne und SPD liefern sich inzwischen ein Kopf-an-Kopf-Rennen: Beide stehen bei 25 bis 27 Prozent. Die FDP kommt zurzeit nur auf 3 bis 5 Prozent. (taz)
Das Land Berlin hat 105.326 Vollzeitstellen, davon nur 362 bei Ihnen. Keine andere Verwaltung hat so wenige Beschäftigte wie Ihre.
Ach, sie machen das von der Zahl der Mitarbeiter abhängig. Die Bedeutung eines Ressorts hängt doch nicht von der Zahl der Beschäftigten ab, sondern von den Impulsen, die von ihnen ausgehen. Wir haben auch deshalb eine schlanke Verwaltung, weil wir uns einer Reihe anderer Institutionen bedienen, deren Aktivitäten von uns politisch gesteuert werden. Wesentliches Instrument der Wirtschaftsförderung ist die Investitionsbank mit mehreren hundert Beschäftigten, Berlin Partner und die Technologiestiftung.
Sie haben aber auch nicht viel Geld für Impulse. Von den 22 Milliarden Euro, die das Land Berlin in diesem Jahr ausgibt, verfügen Sie über knapp 600 Millionen Euro, also nur über 2,7 Prozent.
Wir sind keine Behörde, die tausende Polizisten oder Feuerwehrleute oder Lehrkräfte beschäftigt mit der Folge eines großen Etats. Wir wirken mehr nach außen. Die IBB setzt jährlich circa 410 Millionen für Wirtschaftförderung ein, über meinen Etat stehen nochmal durchschnittlich 100 Millionen Euro an Fördermitteln zu Verfügung und die Verwaltung der EU-Strukturfonds mit über 1,2 Milliarden Euro über die gesamte Förderperiode liegt bei uns. Damit können wir Impulse setzen. Und wir sind ganz wesentlich dafür verantwortlich, die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft zu setzen.
Wie geht es denn der Wirtschaft? Vor einem Jahr haben Sie im taz-Interview befürchtet, für Berlin komme es wegen der Wirtschaftskrise dicke. Doch das ist nicht passiert. Haben Sie sich getäuscht?
Es ist eine erfreuliche Entwicklung, dass es in Berlin nicht so schlimm gekommen ist wie im Bundesvergleich. Das hat mit der besonderen Industrie- und Wirtschaftsstruktur in Berlin zu tun. Bei uns ging das Bruttoinlandsprodukt nur um 0,7 Prozent zurück im Vergleich zu 4,8 Prozent bundesweit.
War Ihre Warnung vor einem Jahr übertrieben?
Es ist zwar gelungen, den dramatischen Einbruch 2009 dank der Kurzarbeits- und Konjunkturprogramme abzufedern. Aber alle gravierenden Probleme, die zur größten Wirtschaftskrise seit 1929 geführt haben, sind nach wie vor existent. Die Finanzmärkte sind noch immer ohne Regulierung, die Bankbilanzen noch immer nicht von den Schrottpapieren bereinigt, die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen Defizit- und Überschussländern nicht abgebaut, der Euroraum in einer tiefen Krise. Die Krise wurde vertagt, ist aber nicht zu Ende. Meine Sorge ist, daß der von der Bundesregierung forcierte harte Konsolidierungskurs in Europa zu einer deflationären Entwicklung führt. Dann wird es auch hier wieder schwieriger. Bislang sind wir mit einem blauen Auge davongekommen. Wir haben aber auch gesehen, daß die Wirtschaftsstruktur Berlins weniger anfällig ist.
Woran liegt das?
Die Autoindustrie und andere Branchen, die stark betroffen sind, sind in Berlin nur wenig vertreten. Dafür haben wir viele Unternehmen aus weniger anfälligen Branchen, zum Beispiel aus der Pharmaindustrie und der Ernährungsindustrie. Auch die Tatsache, dass der Tourismus in Berlin weiter geboomt hat, spielt eine Rolle - im Gegensatz zu Mitbewerbern wie London, Rom oder Paris, die zweistellige Rückgänge hatten.
Gerade im Tourismus sind viele Jobs schlecht bezahlt.
Das ist ein Riesenproblem, das durch die Arbeitsmarktreformen von Rot-Grün massiv angewachsen ist: Es gib einen deutlichen Anstieg des Niedriglohnsektors, die Ausweitung prekärer Beschäftigung, gerade in Hotellerie und Gastgewerbe. Das ist aber kein Thema, was wir in Berlin lösen könnten. Leider können wir keinen flächendeckenden Mindestlohn einführen. Wir wollen aber Qualitätssiegel an die Hotels und Gaststätten vergeben, die ihre Leute vernünftig bezahlen.
Das klingt beinahe hilflos.
Was heißt hilflos? Mehr kann ich auf Landesebene nicht machen. Ich kann auch nicht die Einkommensteuer für Spitzenverdiener erhöhen oder eine Vermögensteuer einführen. Wir können nur im Bundesrat schöne Anträge stellen und so Druck machen - aber die Zuständigkeit von Ländern können wir nicht ändern.
Führt eine Politik, die auf Wirtschaftswachstum setzt, nicht immer auch zu mehr Gentrifizierung? Es werden die Leute abgehängt, die keinen Job abbekommen, weil die Mieten steigen und es auch sonst immer teurer wird, den Lebensstandard zu halten.
Die Antwort auf Gentrifizierung kann ja nicht sein, dass wir keinerlei Investitionen mehr in der Stadt tätigen. Ein Problem ist der Niedriglohnsektor, daher wollen wir, dass die Arbeitsplätze, die in Berlin geschaffen werden, auch gut bezahlt werden. Wirtschaftsförderung erhält etwa nur, wer ein Bruttoeinkommen von 25.000 Euro pro Jahr bezahlt. Und wir haben das Vergabegesetz geschaffen, um Mindeststandards für Unternehmen festzulegen, die öffentliche Aufträge ausführen.
Es wird trotzdem noch Arbeitslose geben - wie sollen die sich das Leben in ihrem Kiez weiter leisten?
Das müssen wir über die Stadtentwicklungspolitik angehen. Wir diskutieren auch gerade innerhalb der Linken darüber, wie man diese Auseinanderentwicklung in der Stadt stoppen kann. Ein Beispiel: Wenn Gebäude aus der Wohnungsbauförderung rausgefallen sind und teilweise in die Zwangsversteigerung gehen, warum ersteigern wir die nicht über unsere kommunalen Wohnungsbaugesellschaften, um dann auch ein Gegengewicht zu den steigenden Mieten zu schaffen?
Wie lässt sich eine soziale Mietenpolitik denn mit dem Klimaschutz vereinbaren?
Um den CO2-Verbrauch zu senken, müssten viele Häuser saniert werden - die Kosten dafür werden auf die Miete umgelegt. Wir dürfen nicht in eine Situation kommen, bei der auf der einen Seite der Klimaschutz steht und das Soziale hinten runterfällt. Langfristig wird Klimaschutz sozial sein, weil die Energiepreise wohl weiter steigen und man mit mehr Dämmung auch weniger Heizkosten hat. Das heißt aber auch, dass wir am Anfang die Investitionen in die energetische Sanierung unterstützen müssen - mit Zuschüssen in einzelnen Fällen, Zinsvergünstigungen oder einem Energieeffizienzfonds. Wir sind im Moment dabei, das auszuarbeiten.
Wer soll das bezahlen?
Es ist nicht so, dass das Land Berlin völlig mittellos ist. Wir haben einen Haushalt von 22 Milliarden Euro. Die Investitionsbank hat Geld, es gibt auch noch die Kreditanstalt für Wiederaufbau.
Die öffentliche Hand in Berlin kauft jedes Jahr bei der Privatwirtschaft für vier bis fünf Milliarden Euro ein und ist damit der größte Auftraggeber in der Stadt. Das Abgeordnetenhaus hatte im Jahr 2008 konkrete Vorgaben beschlossen, wie diese Marktmacht genutzt werden kann, um grüne Impulse beim Einkauf zu setzen. Warum wurde das weitgehend ignoriert?
Also, das sehe ich nicht so, dass das weitgehend ignoriert wurde.
Das Abgeordnetenhaus wollte, dass bei jeder Ausschreibung ökologische Kriterien als Zuschlagskriterien genannt werden und mit einer Gewichtung von einem Drittel in die Entscheidung über die Auftragsvergabe einfließen. Wir haben die Ausschreibungen ausgewertet: Das ist nie geschehen, außer einmal beim Stromeinkauf.
Es gibt bereits heute Verordnungen, die ökologische Beschaffung zum Beispiel im Baubereich regeln und es gibt Ausschreibungen, von denen ich glaube, dass die Vorgabe nicht sinnvoll ist. Etwa wenn man ein Unternehmen für den Wachschutz sucht - nach welchem Umweltkriterium sollte man da entscheiden? Wir haben ja inzwischen auch ein Ausschreibungs- und Vergabegesetz beschlossen, in der nun folgenden Verordnung werden präzise und praxistaugliche Vorgaben stehen, die man dann auch umsetzen kann.
Heißt das, die Vorgaben des Abgeordnetenhauses war Ihnen zu schwammig, deswegen haben Sie sie ignoriert - in der Hoffnung, dass es keiner merkt?
Also hier im Haus haben wir ohnehin kaum europaweite Ausschreibungen und auch nicht solche, bei denen sich ökologische Zuschlagskriterien angeboten hätten. Aber grundsätzlich gilt: Wenn das Abgeordnetenhaus eine Aufforderung beschließt, ist die Regierung in der Regel gut beraten, sich daran zu halten. Aber sie ist im Rahmen der exekutiven Eigenverantwortung nicht dazu verpflichtet. Das ist der Unterschied zwischen einem Beschluss und einem verbindlichen Gesetz. Das Problem wird jetzt über genau so ein Gesetz und über rechtsverbindliche Verordnungen gelöst.
Kritiker sehen in den bürokratischen Vorgaben und in dem Mindestlohn von 7,50 Euro während der Ausführung der öffentlichen Aufträge ein Hemmnis für die Wirtschaft.
Es ist ein wirtschaftliches Hemmnis, wenn Unternehmen von uns Aufträge bekommen und ihren Beschäftigten so wenig Lohn zahlen, dass ihren Lohn beim Jobcenter auf Hartz-IV-Höhe aufstocken müssen. Wir dürfen doch solche Unternehmen nicht mit Aufträgen unterstützen und damit ordentlich zahlende Unternehmen vom Markt zu verdrängen. Es ist ein Gesetz gegen Schmutzkonkurrenz. Teile der Wirtschaft begrüßen das Gesetz auch, die Handwerkskammer und der Bauindustrieverband zum Beispiel.
Jetzt ist noch ein Jahr bis zur Wahl: Wie viel Spaß macht Ihnen der Job eigentlich noch?
Ach, das ist wohl wie bei der taz: Manchmal macht es richtig Spaß, und manchmal kann man sich die Krätze ärgern. Und ich hätte noch ein paar Ideen für die nächste Legislaturperiode. Aber mal sehen, wie das Wahlergebnis aussieht.
Was mögen Sie denn besonders gerne an ihrem Job?
Wenn es gelingt, etwas über die Dauer durchzusetzen, wie den Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen. Wenn man sieht, dass in Berlin Dinge anders gemacht werden als in anderen Bundesländern. Dann hat man auch das Gefühl, das macht Sinn.
Und wann ärgern Sie sich die Krätze?
Ich ärgere mich, wenn Dinge nicht vorangehen, wenn Dinge neu diskutiert werden müssen, die schon mehrmals diskutiert worden sind. Oder wenn ich durch einen taz-Bericht herausfinde, dass wir eine Zeit lang über ein kleines Programm auch die Ansiedlung von Niedriglohnjobs bei Call-Centern gefördert haben. Ich habe das umgehend geändert - aber das ärgert mich, weil so etwas darf eigentlich nicht durchrutschen.
Gibt es eigentlich noch ein anderes Ressort, dass sie besonders interessant finden?
Es gibt viele interessante Ressorts, unter anderem mein Gegenwärtiges.
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