Sommelière über Kopfweh und Weingenuss: „Gutes Gewissen beim Trinken“
Stefanie Hehn ist Chef-Sommelière im Hamburger Luxus-Hotel The Fontenay. Ein Gespräch über besserwisserische Kunden, teure Tropfen und Kater.
taz: Frau Hehn, kommen eigentlich Leute zu Ihnen, die zugeben: „Ich weiß, dass Wein stilvoller ist, aber ich trinke lieber Bier?“
Stephanie Hehn: Wir haben im Restaurant auch ein Menü, bei dem es zum Käse-Gang Bier gibt, und zum Dessert Sake, ein alkoholisches Getränk aus Japan. Eine Sommelière sollte nicht nur Ahnung von Wein haben. Ich finde allerdings, man braucht nicht dutzende Wassersorten in einem Restaurant. Man ist ein Genuss-Experte, jemand, der den Gästen hilft, den Restaurant-Aufenthalt geschmacklich und sensorisch so gut wie möglich zu gestalten. Es geht um Wohlfühlmomente.
Wie verändert sich Ihr Beruf durch Ernährungstrends wie Craft-Beer und Superfood?
Früher mussten die Sommeliers mehr machen, um bemerkt zu werden. Heute ist das Thema Essen und Trinken überall im Gespräch, jeder will besser und gesünder essen. Das spielt uns in die Karten.
Und wenn jemand sich unbedingt mit Wein auskennen möchte, um vor seiner Begleitung anzugeben – spielen Sie mit?
Ich spreche das dann mit dem Gast vorher ab und übe. Ich mache ein Briefing und gebe demjenigen die richtigen Fragen an die Hand, damit er mit seinem Wissen vor seinen Geschäftspartnern punkten kann.
Wie kamen Sie in die Gastro-Branche?
Ich habe neben der Schule schon in einem Café gejobbt. Das brachte mich dazu, eine Hotellerie-Lehre zu machen, in einem Etablissement mit Sterne-Restaurant. Ich musste da schon früh Verantwortung übernehmen. Obendrein sind wir dort kulinarisch erzogen worden und mussten alles probieren, was wir servierten. Als junger Mensch isst man ja normalerweise keine Innereien.
33, wuchs bei Bad Kissingen auf. Im Luxus-Hotel The Fontenay an der Alster ist sie seit Anfang 2018 als Chef-Sommelière zuständig für alle Weine im Haus. Im November 2018 wurde sie vom Wein-Guide des Restaurantführers Gault & Millau zum „Sommelier des Jahres 2019“ gekürt.
Und heute essen Sie alles?
Zumindest hat mich diese Zeit gelehrt, offen zu sein. Die größte Herausforderung in meinem Job ist, wenn die Gäste nicht offen sind, und nicht über ihre Wünsche sprechen mögen. Gäste, denen man alles aus der Nase ziehen muss, sind die schwierigsten. Dieses „Machen Sie mal“ ist schwierig.
Was lernt man eigentlich in einer Sommelière-Ausbildung?
Die Ausbildung als Sommelière bei der Industrie- und Handelskammer macht man in drei Monaten. Man warnte uns, dass 50 Prozent durchfallen würden. Danach bekam ich eine Stelle im Louis C. Jacob, eine Top-Adresse, die auch für hohe Weinkompetenz bekannt ist. Dort will man nicht nur Getränke zum Essen verkaufen, sondern auch die großen Weine. Solche, die Geschichten erzählen, die aus besonderen Jahrgängen kommen oder in geringeren Mengen verfügbar sind.
Im März 2018 fingen Sie im The Fontenay an, nur acht Monate später wurden Sie vom Restaurantführer Gault & Millau als „Sommelier des Jahres“ ausgezeichnet. Wie wird man das?
Der Gault Millau zeichnet jedes Jahr einen anderen Sommelier aus, der über Jahre beobachtet worden ist. Das war überraschend, denn im ersten Jahr nach Eröffnung des Hotels war damit nicht zu rechnen. Die Auszeichnung ist eine wunderbare Bestätigung, dass ich mit meinem Weinkonzept, das ausschließlich aus meiner Hand entstanden ist, auf dem richtigen Weg bin. Es sprechen mich viele Gäste darauf an – ich bin also mit dem Titel auch eine Botschafterin für den Beruf.
Es gibt Sommelier-Wettbewerbe, auf die sich die Kandidaten monatelang vorbereiten. Wie bereitet man sich vor, außer dass man viel Wein trinkt?
Es gibt Leute, die sich als Wettbewerbsvorbereitung um 3 Uhr nachts wecken lassen, um dann Spirituosen zu verkosten. Frühmorgens ist der Geschmackssinn am sensibelsten. Ich habe an drei Wettbewerben teilgenommen und bin jedes Mal bis ins Halbfinale gekommen. Aber ich bin nicht der Typ dafür. Sobald es in die Öffentlichkeit geht und eine Kamera dabei ist, ist es eine gestellte Situation, die sich für mich nicht nach dem anfühlt, was ich alltäglich im Restaurant mache.
Wie läuft eine Verkostung bei so einem Wettbewerb ab?
In einem 25-minütigen Tasting muss man sechs Weine blind erkennen. Das ist ein bisschen wie eine Matheaufgabe. Jeder Wein wird nach derselben Methode benannt: Diese Nase plus jener Geschmack plus weitere Merkmale bedeuten dieses Ergebnis. Deduktives Tasting: Um das zu können, muss man bereits viele Weine beschrieben haben. Im Restaurant erzählen wir so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig. Der Gast sollte wissen, warum er etwas im Glas hat, sich dabei aber nicht langweilen.
Und wenn ein Gast einen Wein bemängelt, obwohl Sie genau wissen, dass er gut ist? Gilt noch der alte Satz: „Der Kunde ist König“?
Das muss man abwägen. Eigentlich diskutieren wir nicht mit unseren Gästen. Es kann passieren, dass ich einen Wein unkommentiert austausche. Aber wer uns Sommeliers nur ärgern will, der bezahlt den Wein auch. Der Spruch „Der Kunde ist König“ ist etwas veraltet, wir möchten schon, dass man uns auf Augenhöhe begegnet.
Heißt das auch, dass die Gäste nicht mehr so lange am Tisch sitzen, wie sie wollen?
Früher wäre es nie passiert, dass man unaufgefordert die Rechnung bekommt. Heute macht man ein Restaurant auch mal zu und bringt die Gäste an die Bar.
Was hat sich noch an den Arbeitsumständen in der Gastro-Branche verändert?
Öffnungs- und Schließzeiten werden generell genauer genommen, die Arbeitszeiten in der Gastronomie sind nicht mehr so unmöglich wie früher. Früher gab es Teildienste, bei denen man mittags ein paar Stunden frei hatte. Im The Fontenay habe ich immer am Sonntag und Montag frei. Ich arbeite ab 14 Uhr, zwischen acht und zehn Stunden. In manchen Marketing-Firmen sind die Arbeitszeiten auch nicht familienfreundlicher.
Werden Frauen als Sommeliers genauso akzeptiert wie Männer?
Ich bediene mit meinem Aussehen keine Klischees. Unter einem Sommelier stellte man sich lange Zeit einen Mann mit grauem Haar und Einstecktuch vor. Tendenziell gibt es noch immer mehr Männer als Frauen in dem Beruf, im The-Fontenay-Team sind wir dagegen zwei Männer und zwei Frauen. Und auch in den zehn Drei-Sterne-Restaurants in Deutschland ist man von fifty-fifty nicht mehr weit entfernt.
Zu Ihrem Job gehört es, die Gäste zu animieren, auch einmal über den Durst zu trinken.
Das stimmt. Wir helfen den Leuten, mehr zu trinken, als sie sich vorgenommen haben. Für uns ist es ein Erfolg, wenn jemand drei Gläser statt eines trinkt. Ich mache den Menschen ein gutes Gewissen beim Trinken. Natürlich nur, wenn sie nicht Auto fahren müssen. Manchen muss ich zureden – manchmal trauen sich die Leute selbst zu viert nicht, zusammen eine Flasche zu bestellen.
Die teuerste Flasche im Sortiment des The Fontenay kostet aktuell 3.000 Euro. Was ist das für ein Wein?
Das ist ein Pino Noir aus dem Burgund. Davon bekommen wir im Jahr höchstens zwei bis vier Flaschen geliefert. Wer so einen Wein bei sich im Keller lagert, muss ständig schauen, wie gerade dessen Marktwert ist. So eine Flasche würden wir niemals außer Haus geben. Dafür gibt es Verträge, sogenannte Ethik-Klauseln. Die beinhalten sogar, dass wir nach Genuss die Flasche zerstören müssen, damit der Wein nicht gefälscht werden kann.
3.000 Euro in einer Flasche – das muss man sich leisten können.
Wenn jemand bei uns Wein im Gegenwert eines Kleinwagens trinken möchte, darf er das auch. Aber wir haben hier auch wirklich gute Flaschen für 35 Euro – das ist ganz sicher kein Fusel.
Sammeln Sie auch zu Hause so hochkarätige Weine?
Ich achte nie auf Wertsteigerung und kaufe mir nur zwei bis drei Flaschen von einer Sorte. Ich kaufe den Wein meist dann, wenn ich ihn trinken möchte. Ich habe auch gar keinen speziellen Weinkühlschrank, sondern einen gut temperierten Keller mit hoher Luftfeuchtigkeit. Nur im Winter muss ich die Flaschen abdecken, um sie vor der Kälte zu schützen.
Welcher Wein macht den schlimmsten Kater?
Je mehr Acetaldehyd im Wein ist, desto eher hat man einen Kater. Champagner hat besonders viel, auch Sherry. Das ist einfach Chemie.
Wie beugt man dem Kater vor?
Viel Wasser trinken und vor allem etwas in den Magen bekommen. Ich finde, man darf auch mal zu viel trinken. Für einen guten Wein lohnt sich das Kopfweh.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind