■ Sollte die Fußballmannschaft Nigerias boykottiert werden?: Fußball, Gewalt und Politik
Nigeria, Afrikas größte Hoffnung im Fußball, kickt heute gegen Deutschland. Das hat zu Boykottaufrufen geführt. Auch bei den französischen Organisatoren der Fußballweltmeisterschaft sind die ersten Proteste gegen Nigerias Teilnahme eingegangen. Dabei wird es kaum einen Fußballfan geben, der Pelé – heute Sportminister einer demokratisch gewählten Regierung – seine siegreichen Tore aberkennen möchte, nur weil 1970, zum Zeitpunkt seiner Triumphe, Brasilien eine Militärdiktatur war.
Wenn in der Vergangenheit Südafrika boykottiert wurde, dann, um die Chancengleichheit für die schwarze Bevölkerung, auch im Sport, zu erzwingen. Ein genereller Boykott gegen afrikanische Länder mit Demokratiedefizit würde dagegen fast den ganzen Kontinent sportlich isolieren (genau dasselbe hätte vor zwei oder drei Jahrzehnten übrigens für Lateinamerika gegolten). Darum unterstützte der ANC den Boykott gegen Südafrika, und darum möchte die demokratische Opposition Nigerias die internationalen Sportkontakte aufrechterhalten.
Da sie auch weiß, daß der Sportboykott nicht durchsetzbar ist, hat die Europaabgeordnete Glenys Kinnock vorgeschlagen, die britischen Fußballer sollten schwarze Armbinden tragen, wenn sie gegen Nigeria spielen müssen. Sollte diese Idee Schule machen, dann kann es ja künftig heiter auf den Sportfeldern zugehen: Islamische Länder treten gegen Rußland an mit grünen Stirnbändern, worauf „Völkermord in Tschetschenien“ steht; Afrikaner erinnern die französichen Gastgeber an ihre Mitschuld am Tutsi-Holocaust; zu Iran, Mexiko, Kroatien, Serbien und so weiter fällt bestimmt auch noch jemandem eine orginelle Aktion ein.
Die Organisatoren, die sich große Mühe gegeben haben, gewaltbereite Zuschauer von den Ereignissen fernzuhalten, werden damit leben müssen, daß berüchtigte Gewalttäter wie die Präsidenten Sani Abacha und Slobodan Milošević auf der Ehrentribüne Platz nehmen, um sich im Erfolg ihrer Mannschaften zu sonnen. Wo Kameras und Blitzlichter weltweite Prominenz verheißen, tummeln sich Politiker, vor allem, wenn – wie in Deutschland und Nigeria – ein Wahltermin ansteht. Was hier nötig wäre, ist die Entkoppelung von sportlicher Leistung und politischem Abstaubertum – also die Ehrentribüne strikt und konsequent ausblenden.
Frau Kinnocks Idee weist in die falsche Richtung: nicht die Politik auch noch aufs Spielfeld bringen, sondern, umgekehrt, sie so weit wie möglich zurückzudrängen ist der einzige Weg, den kamerageilen Wahlkämpfern und Wahlpfuschern, den Kohls und Abachas die Show zu stehlen. Wie so oft, rückt zunehmende Politisierung die Lösung des Problems automatisch weiter in die Ferne, weil die Politiker selbst der Kern des Problems sind. Andrea Goldberg
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