■ Sollen englische Kinder moderate Alkoholiker werden?: „Kinder in die Pubs!“
London (taz) – Eine Novelle des Kneipengesetzes droht demnächst in Britannien den Flüssig-Futter- Neid zu schüren: „Jetzt kommt es sogar schon so weit, daß uns die eigenen Kinder den Alkohol wegtrinken“, scherzte jüngst ein Unterhausabgeordneter, als das Londoner Innenministerium mit ganz neuen Tönen aufwartete: „Kinder in die Pubs!“, heißt das verblüffende neue Motto. Während Politikerinnen landesweit wild um den Erhalt moralischer Werte kämpfen und, gerade in Erziehungsfragen, dabei sind, die Zügel straffer zu spannen, raubte Innenminister Kenneth Clarke vielen von ihnen nun mit einer geradezu revolutionären Idee die Spucke: Auch Kinder unter 14 Jahren sollen, so will es der Minister, in Britannien künftig begehrten Einlaß in Pubs bekommen. Dafür will Clarke sogar das geltende Gesetz ändern, das allzu jungen Pub-Gästen, immer wieder zur Überraschung ausländischer BesucherInnen, derzeit noch den Hahn abdreht. Selbst in Begleitung Erwachsener müssen Kinder unter 14 Jahren gegenwärtig nicht nur damit rechnen, auf dem Trockenen sitzen zu bleiben, sondern hochkant rauszufliegen, wenn sie den Barraum einer Kneipe betreten.
Nicht nur die geplante Gesetzesnovelle, mit der gleichzeitig zur Freude der TouristInnen eine Lockerung des Alkoholausschanks in „kontinentalen Cates“ einhergehen soll, auch die Begründung des Ministers mutet recht überraschend an: Er wolle, so Clarke, Kinder wie alle anderen BürgerInnen an einen gesunden und moderaten Umgang mit Alkohol heranführen. Das, so zeigten die erschreckenden Resultate einer aktuellen Untersuchung, ist das Trinken unter Elfjährigen. Nach eigenen Aussagen flüchten Jungen und Mädchen in erster Linie in den Rausch „weicherer“ Alkoholika wie Wein oder Bier – meistens, um ihren Streß um Schulnoten oder soziale Anerkennung zu bewältigen. Solange sie das im elterlichen Wohnzimmer tun, ist das übrigens auch völlig legal. Denn was das Kuriose in Britannien ist: Dieselbe Gesetzeslage, die einem Kind verbietet, eine Limonade in einer öffentlichen Bar zu trinken, setzt ihm keine Schranken, wenn es sich in den eigenen vier Wänden nach Lust und Laune vollaufen läßt. Alkoholkonsum ist nämlich in Britannien seit 1908 schon im Alter von fünf Jahren erlaubt. – Völlig beschwipst von den hochprozentigen Umfrageergebnissen, fordern PädagogInnen und PolitikerInnen nun laut, diese Altersgrenze zu überdenken. Dem darüber hinausgehenden Ruf nach weiteren erzieherischen Maßnahmen will Innenminister Clarke nun also mit seiner novellierten Pub-Ordnung nachkommen. Ob er den kleinen AlkoholikerInnen da nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben will? Antje Passenheim
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen