: Solidarnosc ringt noch immer
■ Noch keine Entscheidung über neue Regierung in Polen / Solidarnosc: Regierungsübernahme wäre Selbstzerstörung für die Kommunisten / Große Koalition kommt nach wie vor nicht in Frage
Warschau (dpa) - Das Ringen um die Bildung einer neuen Regierung in Polen hält an. Auch nach dem Treffen von Staatspräsident Wojciech Jaruzelski mit dem Vorsitzenden des Bürgerkomitees der Solidarität, Lech Walesa, und dem Chef der Bauern-Solidarität, Jozef Slisz, zeichnet sich noch keine Lösung ab.
Der Fraktionsvorsitzende der Solidarität, Bronislaw Geremek, sagte gestern im Parlament, die Übergabe der Regierung an die Solidarität käme für die Kommunisten und das System einer „Selbstzerstörung mit sofortiger Wirkung“ gleich. Eine Regierung der Solidarität müßte als erstes mehrere tausend Führungskräfte entlassen, um zu demonstrieren, daß die Bevormundung durch die Partei in Kaderfragen zu Ende sei.
Geremek betonte, daß eine große Koalition, wie sie Jaruzelski im Gespräch mit Walesa vorgeschlagen und dabei der Solidarität das Amt des ersten Vizepremiers sowie einige Ministerämter angeboten hatte, nicht in Frage komme. Zur Diskussion könnte eine Mitverantwortung der Solidarität an wirtschaftlichen Entscheidungen einer künftigen Regierung stehen, auch wenn sie nicht von der Solidarität gestellt würde.
Aus der Umgebung von Jaruzelski verlautete, daß man möglicherweise schon heute Einzelheiten über die Zusammensetzung der Regierung erfahren könne. Eine Parlamentssitzung ist auf kommenden Montag verschoben worden. Dann hat der Präsident erstmals die Möglichkeit, einen Regierungschef vorzuschlagen. Der mögliche Kandidat für dieses Amt, ZK-Sekretär Wladyslaw Baka, mußte unterdessen eine empfindliche Schlappe hinnehmen. Er hatte am vergangenen Montag die Regierung von Ministerpräsident Mieczyslaw Rakowski kritisiert und die Verschiebung der Entscheidung über eine für den 1. August geplante Freigabe des Lebensmittelmarktes um ein bis zwei Monate gefordert.
Die kommunistische Partei hatte sich am Dienstag abend für diesen Termin ausgesprochen. Die Bauernpartei (ZSL) warf Baka sogar Demagogie vor.
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