: „Solidarität statt Ellenbogen“
■ Die Grünen registrieren besorgt, daß der Kampf um Arbeitsplätze ihr Schlüsselthema Ökologie ins Abseits drängt. Nun begeben sie sich auf die Suche nach sozialen Alternativen
Bonn (taz) – Es kommt immer schlimmer, als man denkt. Während der ersten zwölf Monate der aktuellen Regierung Kohl beklagten die Bündnisgrünen in Bonn laut politischen Stillstand und Reformunfähigkeit. Inzwischen aber scheinen sich führende Grüne ins Jahr 1995 zurückzusehnen.
Einen „ungeheuren Rollback im Vergleich zum vergangenen Jahr“ konstatierte Parteisprecherin Krista Sager dieser Tage. Kaum noch eine Rolle spielten heute in Bonn noch fortschrittliche, mit der Arbeit der Grünen verbundene Konzepte: Der vor wenigen Monaten noch herrschende Konsens über die Ökosteuer sei zerstört. Zum Schweigen gebracht sieht Sager auch Reformfreunde in anderen Parteien, die auf den Ökoumbau gedrängt hatten.
Ursache der „politischen Regression“ (Sager) sind der neue Aktivismus der Bundesregierung in der Beschäftigungspolitik und die Kanzlerrunden, die zunehmend auch die Sozialdemokraten unter Druck setzen. Verärgert verfolgen die Grünen, wie eines ihrer Zentralthemen aus den Schlagzeilen verdrängt wird. Krista Sager fürchtet, daß die Angst vor der Ökosteuerreform sich nicht auf Bonn und Hannover beschränkt, sondern weit in die Gesellschaft hinein Wirkung zeigen wird: „Ich mache mir da große Sorgen.“
Die Grünen stecken ähnlich wie die Sozialdemokraten in einem politischen Dilemma. Die Gewerkschaften haben sich auf dem vorläufigen Höhepunkt der Beschäftigungskrise entschieden, bei den Steuerungsversuchen der Bundesregierung mitzuwirken. Die Opposition steht im politischen Abseits, aus dem nur ein Gerhard Schröder einen schnellen Ausweg zu sehen glaubt.
Da wirkt es für die Grünen um so belastender, daß sie in der gegenwärtigen Diskussion zur Wirtschafts- und Sozialpolitik noch kaum innerparteilich abgestimmte und finanzierbare Angebote machen können. „Für dieses Thema ist die Partei noch nicht fit“, räumte kürzlich selbst Parteisprecher Jürgen Trittin ein.
Das freilich soll sich ändern. Anfang März diskutiert der Parteitag in Mainz unter dem Motto „Solidarität statt Ellenbogen“ über Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Auf dem letzten Parteitag im Dezember hatte der Grundsatzstreits um Militär die jetzt anstehende Debatte verdrängt.
Ein ähnlicher Strömungskonflikt wie der um den Bosnien-Einsatz soll sich in Mainz in der Sozialpolitik nicht wiederholen. Dabei scheint ein harter Kampf zwischen linken Umverteilern mit Hang zu Klassenkampfparolen und grünen Werbern um die „leistungsbereite Mittelschicht“ fast unausweichlich. Krista Sager aber dämpft die Eskalationserwartungen. Wie auch die Sozialpolitikerin und Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach vom linken Parteiflügel erwartet die Reala, daß auf dem Parteitag nur Rahmenbedingungen und nicht die strittigen Finanzierungsdetails verhandelt werden.
Konsens zwischen allen Lagern herrscht laut Sager in Bezug auf die „alternative Leitideen“ der Partei zur Arbeitsmarktpolitik. Danach gehen die Grünen davon aus, daß die Beschäftigungskrise nicht über Wachstumsraten in den Griff zu bekommen ist und empfehlen zwei Antworten: Eine radikale, sozial abgesicherte Umverteilung des raren Guts Arbeit und den ökologischen Strukturwandel. Innerhalb von sieben Jahren könne das Ökosteuerkonzept der Fraktion, das auf dem Parteitag verabschiedet werden soll, die Lohnnebenkosten um sechs Prozentpunkte senken.
An Ideen für eine eigenständige Sozialpolitik, die sich von sozialdemokratischen Traditionalismen unterscheidet, fehlt es den Grünen nicht. So will die Sozialexpertin und Abgeordnete Andrea Fischer in der Diskusion über die Reform der Sozialversicherungssysteme hin zu einer BürgerInnenversicherung gleich die heikle Debatte über die künftige Absicherung heute junger Menschen anstoßen. Sie forderte in einem Grundsatzpapier eine Senkung der Einkommenssteuersätze und gleichzeitig eine höhere Besteuerung von Vermögen und Erbschaft. Explizit für eine Senkung des Spitzensteuersatzes hatten sich Fraktionssprecher Joschka Fischer und der Finanzfachmann Oswald Metzger ausgesprochen.
Die Parteilinke kann Metzgers und Fischers Forderung wenig abgewinnen. Der Streit um Details und Finanzen aber soll auf die Zeit nach dem Parteitag verschoben werden – schließlich wird wenige Tage nach dem Treffen von Mainz in drei Ländern gewählt. Sozialpolitikerin Andrea Fischer setzt zudem große Hoffung auf detaillierte Gutachten und Rechenexempel zu den sozialpolitischen Konzepten, die in den kommenden Monaten von Arbeitsgruppen und wissenschaftlichen Instituten erarbeitet werden sollen. Der Blick auf die Zahlen, so das Kalkül der strömungsunabhängigen Expertin, soll im Streit um die Sozialpolitik ideologisch bestimmte Auseinandersetzungen überflüssig machen. Hans Monath
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