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Archiv-Artikel

Solidarität in nachrevolutionären Zeiten

Im kommenden Jahr kann die Nicaragua-Hilfe Bonn ihr 20-jähriges Jubiläum feiern. 200.000 Euro an Spenden sammelten die fast 100 Mitglieder bis heute, um die Errungenschaften der sandinistischen Revolution zu verteidigen. Trotz alledem

Von Martin Ochmann

Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker? „Auch auf die Gefahr hin, dass dieser alte Che-Spruch bei den Leuten nur noch Gähnanfälle hervorruft: für uns ist er nach wie vor sehr wichtig“, sagt Renate Beißner. Sie ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der Nicaragua-Hilfe Bonn, die im kommenden Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum feiern kann. Trotz alledem.

Begonnen hatte alles zur Hochzeit der Nica-Solibewegung 1985 in der Kneipe „Südbahnhof“, bis heute ein linker Szenetreff in der ansonsten eher bürgerlichen Bonner Südstadt. Ziel der Gruppe, die sich damals dort traf, war es, die Sandinistische Befreiungsfront FSLN, die nach dem Volksaufstand gegen die Somoza-Diktatur 1979 an die Macht gekommen war, politisch zu unterstützen. „Wir waren einfach fasziniert, wie dieses Volk sich durch die Revolution befreit hat, und wollten dieses Projekt mit zum Erfolg führen“, blickt die heute 47-Jährige auf die Gründungszeit zurück. Zu der Gruppe gehörte auch ein Arzt, der schon während der Revolution in das kleine lateinamerikanische Land ging und in seinem Bonner Freundeskreis regelmäßig um materielle Unterstützung bat.

Die linken Sandinisten reformierten die Agrarwirtschaft, zahlreiche Kooperativen wurden gegründet, die Alphabetisierung voran getrieben – geradezu „euphorisch“ hätte die Solidaritätsbewegung hierzulande die Entwicklung in Nicaragua verfolgt. „Das war endlich das linke Projekt, das wir hier nicht realisieren konnten“, berichtet Beißner. „Freizeitrevolutionäre“ wurden die am Anfang gerade mal rund 20 Mitglieder der Bonner Gruppe gerne herablassend genannt. Heute hat die Gruppe 97 Mitglieder, eine seit Jahren relativ konstante Zahl.

Ihr Verein sei immer „anders“ gewesen, betont Beißner. Im Gegensatz zu vielen Solidaritätsgruppen, von denen es die meisten inzwischen längst nicht mehr gibt, seien die Bonner immer mehr an praktischen Fragen interessiert gewesen und „nie mit diesem hohen politischen Anspruch aufgetreten“. Dennoch: Als die Sandinisten 1990 die Wahlen verloren, stellte sich für die Mitglieder die Frage, wie viel ihnen ihre ursprünglichen Ziele noch wert sind. Denn die Stadt Boaco, die sie bis dahin unterstützt hatten, war nach der Wahl fest in der Hand der bürgerlich-reaktionären UNO-Partei. Schließlich entschied man sich, die Zusammenarbeit mit Boaco zu beenden und gezielt eine Gemeinde zu suchen, die „richtig“ gewählt hatte. „Wir wollten nicht wie andere NGOs zwar auch etwas für die Bevölkerung tun, damit aber gleichzeitig das bestehende System stützen“, begründet Beißner die damalige Entscheidung. In der Landgemeinde San Ramón, fest in FSLN-Hand, wurde man schließlich fündig. Seit 1992 engagiert sich der Verein in dieser Region im zentralen Bergland Nicaraguas. Auch um die „Errungenschaften der Revolution weiter aufrecht zu erhalten“, die durch neoliberale Regierungspolitik andernorts im Lande vielfach rückgängig gemacht wurden.

Für 200.000 Euro wurden in den vergangenen Jahren Projekte realisiert. Geld, das allein durch Spenden der Mitglieder zusammen gekommen ist. Zuverlässiger Koordinator vor Ort ist die UCA, ein Zusammenschluss von sieben Kooperativen, in der insgesamt rund 1.140 Menschen organisiert sind. Im vergangenen Jahr konnte erstmals ein Großprojekt gemeinsam mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit umgesetzt werden. Ein zweites mit einem Investitionsvolumen von 131.000 Euro ist in Planung. Davon muss der Verein 25 Prozent aufbringen.

Gefördert werden Projekte, die vor allem auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Die „Förderung des gesellschaftlichen Wandels durch Bildungs- und Genderarbeit“ und der „Umweltschutz durch Unterstützung diversifizierter und Ressourcen schonender Anbaumethoden“ hält eine Broschüre des Vereins als Grundsätze der Projektarbeit fest. Natürlich werde dabei auch das eigene Problembewusstsein, „mit dem wir gegebenenfalls ein Stück weiter sind als die Menschen vor Ort, die ganz andere Sorgen haben“, auf die Menschen in Nicaragua übertragen, räumt Beißner ein. Doch sämtliche Projekte gingen zurück auf Wünsche und Bedürfnisse vor Ort, betont sie.

Das sieht auch Michael Faber so. Der 23-Jährige ist eines der jüngsten Mitglieder des Vereins und wirkt mit seiner engagierten Mitgliederwerbung der drohenden Überalterung des Vereins entgegen. Für ihn sind die Ziele der Nicaragua-Hilfe nach wie vor „hoch aktuell“. Und gerade die „Verbindung politischer Ansprüche mit ganz konkreter Arbeit vor Ort“ macht für ihn die Bedeutung des Vereins aus.