: Soldaten-Urteil
Was soll die Aufregung über die Aussage: Soldaten sind potentielle Mörder? Wer kann seinen Mund aufmachen und sagen, wie sinnvoll und hilfreich der Dienst des Sodaten ist, wenn ein Krieg ausbricht? In unserem Land stehen sich atomar bewaffnete Militärmächte gegenüber. Wie lange soll im Kriegsfall ein Soldat seine Pflicht erfüllen und mitmachen: bis zur ersten oder zehnten oder 100. Wasserstoffbombe? Soll er nur einen Verteidigungskrieg mitmachen? Woran erkennt man diesen? Soll er, kann er bedacht sein, nur die gegnerische Truppe, nicht aber die Zivilbevölkerung zu treffen? Sind Atomkraftwerke des Gegners zu beschießen oder lieber nicht? Soll er bei einem Rückzug Atomsprengsätze in Straßenschächten (zum Beispiel in der Görde) nur bei Westwind zünden, oder auch bei Ostwind? Soll er die Deutschen in der DDR dann noch als Deutsche ansehen oder nur als Feinde (auf sie sind doch die Kurzstreckenraketen gerichtet, die bei uns aufgestellt sind!)? Und wenn unsere Soldaten für Europa kämpfen, wie weit geht Europa? Und wenn sie die Russen auch als Menschen ansehen und die Polen und die Tschechen, was sollen sie dann machen? Mit diesen Fragen ist doch die ganze Unsinnigkeit des Soldatseins im Atomzeitalter aufgezeigt. Warum wird das alles von denen, die uns regieren, verschwiegen und statt dessen mit schönen Worten versucht, die Ehre des Soldatenstandes hochzuhalten. Dieses scheinheilige Gerede hilft weder den Soldaten noch uns.
Vielleicht gibt es auf die Sinnfrage für den Soldatenstand nur noch diese Antwort: Die Soldaten (und ihre Rüstung) sind dazu da, sich selber überflüssig zu machen. Ihr Dasein soll vor Krieg, also vor dem Einsatz der Soldaten, abschrecken. Aber natürlich kann das kein Militär oder Politiker aussprechen, geschweige denn der Soldat selber bei seiner Vereidigung die Formel verwenden: ich gelobe Gehorsam ausgenommen im Kriegsfall. Dann wäre ja die Abschreckung wieder hinfällig. So bleibt der Tatbestand: alle Soldaten sind potentielle Mörder. Potentiell heißt laut Sprachbrockhaus: „möglich, unter Umständen verwirklichbar.“ Es ist möglich, im Umstand des Krieges nämlich, daß der Soldat zum Mörder wird. Auch im Verteidigungsfall (der freilich kaum für die Truppe erkennbar sein wird), wird er sich nicht auf die Abwehr des Angreifers beschränken könnten (Notwehr), sondern muß aufgrund der heutigen Bewaffnung zwangsläufig die Zivilbevölkerung ganzer Landstriche mittreffen und töten. Die Bezeichnung „Mörder“ besteht also nicht aufgrund krimineller Eigenschaften, sondern aufgrund der Bewaffnung mit Massenvernichtungsmitteln.
Doch bevor der Soldatenstand durch diese Bezeichnung angeklagt wird, trifft uns diese Anklage. Wir, die wir immer noch nichts besseres als Frieden durch Abschreckung zuwegegebracht haben, verpflichten die Soldaten zu Gehorsam auch für den Kriegsfall. In unserem Auftrag also werden sie die Vollstrecker des Völkermordes sein.
Zugegeben, wir scheinen in einer Zwangslage zu stecken: Entweder wir drohen mit atomar gerüsteter Streitmacht, schaffen also die Potenz die Macht die Möglichkeit zu Völkermord und Selbstmord der Menschheit, oder wir lehnen eigenes oder verbündetes Militär ab und ermöglichen dadurch jedem Gewalttäter, über uns herzufallen. Vorläufig haben wir uns für die erste der zwei Möglichkeiten entschieden, indem wir zugleich mit schönen Worten über den Soldatenstand den Tatbestand verdecken, daß eigentlich nur Kriminelle sich zu solchem Tun entschließen können. Nur wenn wir aufdecken, zu welchen Taten wir unsere Soldaten verpflichten, werden wir auf schnelle Änderung drängen. Der Ausweg zeichnet sich ja schon ab.
Ich habe die Uno vor Augen, den immer stärkeren Zusammenschluß aller Nationen und also ein Loskommen von Militär und Massenvernichtungsmitteln und Hinfinden zur Weltpolizei.
Johannes Carnap, Pisselberg
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