: Solange der Mann nicht bei sich ist...
■ ... kann ihn die Frau nicht lieben / Gespräch mit der „Liebestrank“-Regisseurin Kirsten Harms über ihre Inszenierung und die Liebe
taz: „Schwarzwaldmädelmilieu - bunter Ringelreihen — belkantistische Meterware — Biertisch und Laterne“ dies sind einige Schlagworte aus Kritiken herkömmmlicher Liebestrank- Inszenierungen. Gemessen daran haben Sie das Stück auf den Kopf gestellt.
Kirsten Harms:Ich habe versucht, es genau zu lesen und dabei festgestellt, daß viele andere Sichtweisen sehr oberflächlich sind. Auch unser Dirigent Istvan Denes war davon überzeugt, daß diese Musik ihre dramatischen Elemente hat — fast wie in „Lucia di Lammermoor“. Man degradiert diese Oper fast, wenn man sie nur buffonesk sieht.
In Ihrer Inszenierung wurde der Titelheld Nemorino vom einfältigen Bauern zum Dichter. Warum?
In einer Arie am Anfang singt er, daß Adina fröhlich ist und liest, er aber könne nur seufzen und sei schlichtweg ein Idiot: Vor lauter Liebesunglück ist er unfähig, irgendetwas zu arbeiten, er ist nicht mehr bei sich. Daraus haben Opernführer und viele Interpreten geschlossen, daß er ein tumber Bauer ist, der nicht lesen und schreiben kann.
Und das finde ich fatal. Denn in seiner nächsten Auseinandersetzung mit Adina singt er hochphilosophische Texte. Als sie ihn fragt, warum er nicht von ihr ablassen kann, fragt er zurück: „Warum verläßt ein Fluß seine Quelle und fließt unaufhörlich dem Meer entgegen, obwohl er weiß, daß er am Ende vom Meer verschluckt wird?“ Auch er könne einfach nicht anders, werde von einer Kraft getrieben, die er nicht kennt.
Diese Figur hat einen ganz anderen Tiefgang. Der Konflikt liegt darin, daß er aus seinem Unglück heraus für Adina kaum noch erkennbar ist. Deshalb lasse ich ihn seit 100 Tagen auf der Straße vor ihrem Balkon sitzen, so wie Romeo vor dem Balkon der Julia.
Adina ist im Vergleich zu Frauen in anderen Opern eine überraschend aktiv handelnde Frau.
Sie ist für die damalige Zeit eine emanzipierte Frau: eine Gutsbesitzerin, bei der einige Leute angestellt sind. Sie hat in dem Stück keinen Vater, auch keinen Mann. Und diese selbständige Frau habe ich auch gezeigt.
Ihre italienische Hinterhofkulisse hat etwas Bordellhaftes, Verruchtes.
Wenn es um so viele verschiedene Facetten von Liebe geht, dann kann dies durchaus in einem Amüsierviertel stattfinden. Das sind aber nur kleine Zutaten. So ließ sich auch die Skrupellosigkeit oder Unmoral der Matrosen auf Landgang illustrieren, die in jeder Stadt eine andere haben.
Gab es Widerstände gegen diese Konzeption?
Im Theater — ganz im Gegenteil. Da fanden die meisten auch diese schwarz-weiß-Lösung ganz interessant: Wie schafft man es, realistisch zu sein, ohne in den Kitsch abzudriften und vor allem: indem man dem Auge auch Interpretationsmöglichkeiten läßt. Dies ist gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit dem Neorealismo, den es auch im Film gibt — ein Versuch, etwas ähnliches für's Theater zu schaffen.
Früher gab es in Ihrem Beruf gar keine Frauen. Haben Sie das Gefühl, als Frau in dieser Inszenierung einen besonderen Akzent gesetzt zu haben, hat diese Inszenierung etwas Frauenspezifisches?
(lacht) Könnte sein, ich habe mir aber nicht vorgenommen, als Frau nun eine andere Interpretation zu liefern. Die Frage ist doch: Wie sieht man Konflikte, was denke ich über Liebe? Und das spiegelt sich in der Inszenierung.
Es ist doch sehr oberflächlich zu glauben: Sie muß ihn nur eifersüchtig machen, und dann wird's schon klappen
Nehmen Sie zum Beispiel den Gedanken: Wann beginnt Adina den Nemorino wiederzulieben, schließlich handelt der gesamte 1. Akt davon, daß sie ihn überhaupt nicht liebt — und daß sie den Belcore vorzieht, weil der männlich ist, draufgängerisch, eben das genaue Gegenteil. Die Inszenierungen, die ich kenne, gehen in einer sehr äußerlichen Form, über Eifersucht, mit der Handlung um: daß Nemorino Adina mit den anderen Frauen einfach eifersüchtig machen muß — und dann wird es schon funktionieren.
Aber für mich ist es so: Solange dieser Mann nicht bei sich ist, er quasi seine Substanz verloren hat, solange kann sie ihn nicht erkennen. Kehrt er aber zurück zu seiner Arbeit — sei es nun durch einen Bordeaux oder einen Liebestrank oder was auch immer — beginnt sie, sich für ihn zu interessieren. Nun habe ich ihn ja auch als Dichter gesehen, der schreibt und anders als andere in der Lage ist, etwas zu formulieren — und so entspinnt sich etwas zwischen den beiden, weil sie dann in der Lage sind, mögliche Konflikte miteinander zu haben. Ich weiß nicht, ob es weiblich ist, das so zu sehen.
Einiges Ihrer Sichtweise wird ja auch aus dem Programmheft deutlich — mit dem Text über Liebe und Selbstfindung zum Beispiel, oder über „die geheime Faszination des Macho-Mannes“. Haben Sie die passenden Texte ausgesucht?
Nein. Das ist vielleicht typisch: Es war eine Frau, nämlich unsere Produktionsdramaturgin Dagmar Birke. Sie hat die Interpretation dieses Stückes mitgetragen. Solche Texte überhaupt zu finden, das hat schon einen weiblichen Touch.
Wir hatten im Theater übrigens zwischen Regieassistenz und den anderen den witzigen Streit, welche Szene denn nun frauen-und welche männerfeindlich ist.
Wurde der Streit entschieden?
Nein, das wäre auch Unsinn. Es wurde aber heiß und mit viel Spaß diskutiert. In dem Stück kommen Männer und Frauen ganz gut weg. Beide Seiten zeigen auch, daß sie manchmal sehr bösartig sein können.
Grundsätzlich hat mich an dem Stück interessiert, daß die unglückliche Liebe eines Mannes thematisiert wird. Das war für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich. Denn das paßte nicht ins Männerbild des 19. Jahrhunderts. Aber Donizetti hatte selbst solche unglücklichen Lieben, deshalb bin ich auch überzeugt, daß es eben kein oberflächliches Stück ist.
Die Geschichte und die Komik entstehen ja aus dem absurden Mißverständnis, daß der Liebestrank kein Liebestrank, sondern nur einfacher Bordeaux ist. Im Stück geht es auch nicht um „echten“ Liebestrank, sondern darum: Was bewirkt der Glaube an sich selbst? Da markiert der Bordeaux den neuen Anfang und bringt den Nemorino gehörig in Schwung, zumal er tagelang nichts gegessen hat. Dies ist das Stück, so banal es auch klingt.
Welche Szene haben Sie deutlich anders interpretiert als sonst?
Das Duett mit Adina und Dulcamara, dem Quacksalber. Über dieser Szene liegt eine eigenartig lockere Musik — als sie singt, daß sie nur zu lächeln brauche und dann mit ihren Augen (“darin liegt mein Liebestrank“) den Nemorino schon gewinnen werde. Ich glaube: Je oberflächlicher sie das singt, desto verzweifelter ist sie. Denn wäre hier, drei Viertel vor Ende des Stücks, schon klar, daß sie ihn gewinnt, dann hätte das Stück ja keine Spannung mehr und wäre zu Ende.
Und genau diese Ambivalenz muß man herausarbeiten. Denn würde man das, was die Musik sowieso schon sagt, mit der Szene verdoppeln, dann wird es kitschig und platt.
Interview: Birgitt Rambalski
Kirsten Harms (36) ist freischaffende Regisseurin in Hamburg, sie ist Dozentin für Dialogregie beim Studiengang Musik-/Theaterregie. „Der Liebestrank“ ist die 10. große Inszenierung der Nachwuchsregisseurin an verschiedenen Häusern. In Kiel z.B. inszenierte sie (“eigenwillig“) den „Lohengrin“ und „Madame Butterfly“.
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