: So wie es bleibt, ist es nicht
Anna Oppermann, eine der wichtigsten deutschen Künstlerinnen der 70er-Jahre, wird neu entdeckt. Heute eröffnet in Berlin eine Schau ihrer Werke – erstmals seit ihrem frühen Tod 1993. Für 2007 ist in Stuttgart eine große Retrospektive geplant
VON SASKIA DRAXLER
Über 60 sogenannte Ensembles hat Anna Oppermann, 1940 in Eutin/Holstein geboren, hinterlassen. Mehr als die Hälfte von ihnen bestehen aus einigen hundert Teilen. Ihre Entstehungsgeschichten erstreckten sich oft über Jahre. Die Arbeiten der Hamburger Konzeptkünstlerin sind selbst nach ihrem frühen Tod 1993 nicht auf ein Endstadium festzulegen.
Bei Oppermanns Produktionen handelt es sich nicht um abgeschlossene Werke, sondern um lange Prozesse ständig sich erweiternder und verändernder Materialsuche und Anordnung. Sie machen Ausstellungsräume zu dreidimensionalen Notiz- und Skizzenbüchern und belegen derart flächendeckend Wände und Böden, dass es bisweilen unmöglich ist, weiter hinten gelagerte Details zu entschlüsseln. Die Folge ist eine irritierende Konkurrenz zwischen Sichtbarkeit und Lesbarkeit. „Ensemble nenne ich die Dokumentation einer bestimmten Methode des Vorgehens bei Wahrnehmungs- oder Erkenntnisübungen“, so Oppermann.
Am Anfang des Arbeitsprozesses steht ein reales Objekt, eine Pflanze etwa, ein privates Fundstück oder auch ein Zitat, stets ganz subjektive Setzungen, die Anlass werden zum ausgiebigen Philosophieren mit anderen Mitteln. In der Regel beginnend in einer Zimmerecke, entstehen die Ensembles aus vielfältigen Elementen wie Bildleinwänden, Fotografien, Zeichnungen, Objekten, Skulpturen, architektonischen Elementen und Schrifttafeln. Sie arbeite vom Einfachen zum Komplizierten, vom Privaten zum Allgemeinen, sagte die Künstlerin. Dabei entwickeln sich die Ensembles von Präsentation zu Präsentation weiter. Beispielsweise kann die dritte Ausstellung eines Ensembles eine Reflexion über die zweite einbeziehen, die wiederum eine Analyse der ersten darstellt.
Das Material gruppiert sich in verschachtelten Konstellationen und Assoziationssträngen um die Fragen und Sujets, die Oppermann gerade beschäftigen. Zur Debatte stehen die großen Menschheitsthemen Liebe, Erotik, Geld, Lüge, Wahrheit, Mythos, Kunst – keins fehlt und jede Arbeit enthält sie irgendwann alle. Arbeiten wie „Problemlösungsauftrag an Künstler (Raumprobleme)“, „Künstler sein (Zeichnen nach der Natur, zum Beispiel Lindenblütenblätter)“ oder „Ersatzproblem am Beispiel Bohnen“ enthalten den Gestus der Künstlerin als Wissenschaftlerin. Die Titel indizieren methodisches Vorgehen und planvolle Ordnung, während die Ensembles die Betrachter in Wirklichkeit mit einer Unordnung von rein subjektiv bestimmten Zuordnungen und Verweisen konfrontieren. Denkerische Hingabe liiert sich mit Desinformation. Angesichts der überwältigenden Materialfülle ist die Aufnahmekapazität der Betrachter ohnehin überfordert. Anstelle von Erkenntnis tritt Erfahrung.
Anna Oppermann bezeichnete die Ensembles als „Spurensicherung und Erinnerungshilfe psychischer Prozesse verschiedener Bewusstseinsebenen und verschiedener Bezugssysteme“ und betonte stets die Offenheit der Arrangements. Die Aussagen der Künstlerin zu ihrer Arbeit sowie ihre Titel enthalten einerseits deutlich ironische Kommentare im Sinne einer Kritik am starren Wissenschaftsbetrieb der 60er-Jahre, den sie bei ihrem Studium der Kunstpädagogik und der Philosophie an der Universität Hamburg kennengelernt hat. Andererseits entsprechen sie einem Diktum der Moderne, das besagt, dass das Denken in modern relativistischen Zeiten sich dermaßen im Unendlichen verzweige, dass nur ein Kunstwerk ihm folgen könne.
1968 ließ sich Oppermann als freischaffende Künstlerin in Hamburg nieder, im selben Jahr erhielt sie ein DAAD-Stipendium für Paris. 1972 stellte sie die ersten Ensembles in der Hamburger Kunsthalle, in Trier und in Berlin aus. Die Arbeiten erregten Aufsehen und erhielten schnell internationale Anerkennung, sorgten aber zunächst auch für kontroverse Diskussionen. Die konservative deutsche Kunstkritik störte sich an der obsessiven Arbeitsweise Oppermanns und der Durchmischung ihrer Kompositionen mit persönlichen Inhalten und bezeichnete ihre Arbeiten abwertend als wirre Selbstbekenntnisse. Kreativen Narzissmus und offene Selbstdarstellung verzeiht man Frauen in der Öffentlichkeit seit jeher schlecht. Oppermanns Art und Weise, mit der eigenen Biografie zu arbeiten, hat jedoch nichts Monumentales. Im Gegenteil stellt sie den Prozess der Produktion mit seinen Irrwegen, Umwegen und Sackgassen aus und übt damit implizit Kritik an Künstlermythos und Geniekult.
Nur mit dieser Differenzierung im Hintergrund lassen sich Bezüge zu neueren Positionen, etwa zu Jonathan Meese oder Thomas Hirschhorn, herstellen. So geschehen in einer Ausstellung der Sammlung Harald Falckenberg, die 2004 in La Maison Rouge in Paris stattfand und in der drei eigens angefertigte Räume jeweils mit einer Installation von Oppermann („Problemlösungsauftrag an Künstler“), Meese und Hirschhorn bestückt waren. Arbeitsweise sowie Ästhetik erscheinen verwandt. In Thomas Hirschhorns „Monumenten“ oder in Jonathan Meeses Raumkollagen werden ähnlich assoziativ kulturelle, pseudointellektuelle und autobiografische Bilder und Schriftelemente verbastelt.
Zur Biennale in Venedig 1980 wurde Anna Oppermann bereits als eine der wichtigsten deutschen Protagonistinnen der Kunst der 1970er-Jahre eingeladen. Seither waren Arbeiten in zahlreichen internationalen Ausstellungen, unter anderem auf der Biennale von Sydney, im P.S.1 New York und zweimal auf der documenta zu sehen. 1982 wurde sie an die Bergische Universität/Gesamthochschule Wuppertal berufen. 1990 ging sie als Professorin für Malerei an die Hochschule der Künste Berlin.
Erstmals seit ihrem Tod eröffnet die Berliner Galerie Kienzle & Gmeiner heute mit einer kleinen Retrospektive, die neben Ensemblereduktionen und einzelnen Bildleinwänden vor allem die Arbeit „Der ökonomische Aspekt“ zeigt. Eine umfangreiche Retrospektive mit fünf Ensembles ist für 2007 im Württembergischen Kunstverein Stuttgart in Vorbereitung.
Eine Ausstellung von Arbeiten Anna Oppermanns ist wegen ihrer diffusen Vielteiligkeit, vor allem aber wegen ihres Anspruchs auf Offenheit und Prozesshaftigkeit ein schwieriges Vorhaben, dessen Problematik direkt in zentrale Auseinandersetzungen um Produktion und Repräsentation von Kunst hineinreicht. Die Installation der Ensembles in Abwesenheit der Künstlerin ist eine hochkomplexe und kreative Expertenleistung. Jeder Aufbau ist eine Interpretation. „Ein Ensembleaufbau ist die Präsentation vieler Bemühungen darum, ein Stück Realität zu erkennen, zu beurteilen oder auch ein ‚Problem in den Griff‘ (Begriff) zu bekommen.“ Nicht der museale Zugriff des Bewahrens wird diesen Arbeiten gerecht, sondern der der Anwendung. Nicht um Rekonstruktion geht es hier, sondern um Inszenierung. Die hunderten von Einzelteilen lagern in Kartons, Kästchen, Schubladen, Mappen und Bilderlagern. Sie werden neu zusammengesetzt von der Kunsthistorikerin Ute Vorkoeper und dem Lebensgefährten Anna Oppermanns, Herbert Hossmann.
Ute Vorkoeper hat schon zu Lebzeiten Oppermanns mit dieser zusammen Arbeiten aufgebaut und zahlreiche kunstwissenschaftliche Texte über sie verfasst. Das Ensemble „Der ökonomische Aspekt“, das sie ab Ende September in Berlin neu inszenieren wird, entwickelte sich von 1979 bis 1987 aus dem riesigen, 1977 über zwei Räume auf der documenta 6 präsentierten Ensemble „Künstler sein“. Dort war es zunächst als Unterthema angelegt. Ende der 1970er-Jahre wendete sich Oppermann dem Thema „Selbstvermarktung“ zu und machte daraus eine eigene Arbeit. In ihrem Kommentar dazu heißt es: „Urteilsbildung des Einzelnen wird zunehmend schwieriger. Sprach- und Kommunikationsverhalten werden geprägt und deformiert durch Karrierezwänge, Reizüberflutung und vor allem durch die in Werbung und vielen Medien übliche Informationsvermittlung. Das Wissen der Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen erreicht den einzelnen, wenn überhaupt, reduziert, simplifiziert, selektiert, gefiltert nach ideologischen und ökonomischen Aspekten mächtiger Interessengruppen (Geld – Politik).“ Schließlich nimmt das Anfang der 1980er-Jahre in London und Sydney gezeigte Ensemble im Gesamtwerk Oppermanns wieder eine bedeutende Mittelstellung ein: Es ist ein Vorläufer des Ensembles „Pathosgeste“, das Oppermann 1987 auf der documenta 8 zeigte.
Oppermann entwickelte ihre spezifische Arbeitsweise Ende der Sechzigerjahre. Sie wurde dabei beeinflusst von so gegenläufigen zeitgenössischen Strömungen wie einerseits Pop-Art und Arte Povera, andererseits Prozesskunst, Konzeptkunst und Narrative Art, deren Positionen in der damaligen Hamburger Kunstszene viel gezeigt und diskutiert wurden. Die Zeit war stark geprägt von Debatten um die Frage nach der Autonomie von Kunst und nach der Autorenschaft von KünstlerInnen. Die konzeptuellen Ansätze gingen von einer aktiven Beteiligung der RezipientInnen aus, die durch ihre Wahrnehmung die Arbeiten erst bestimmten und vervollständigten. Kein Werk ist komplett oder existiert unabhängig. Es sind dies Denkweisen, die nichts an Gültigkeit verloren haben und die zu verschiedenen Zeiten, etwa während der 90er-Jahre, in Form von Institutionskritik oder als Öffnung der künstlerischen Praxis gegenüber den Diskursen von Wissensproduktion und Wissensvermittlung immer wieder Konjunktur haben. Die Gegenüberstellung von Produktionsästhetik und Werkästhetik, die für die Verortung der Arbeit von Anna Oppermann fruchtbar ist, ist aktuell und bewirkt bis heute produktive Auseinandersetzungen.
Bis 24. Februar 2007, Galerie Kienzle & Gmeiner, Berlin