So viel Kritik muss sein: Jan-Paul Koopmann über Julia Zejns Comic „Drei Wege“ im Brauhaus-Foyer: Eins, zwei, alle
Glatt läuft da gar nichts, das fängt schon bei den Zeichnungen an. Julia Zejns grobe Striche verraten die Entstehungsgeschichte ihrer Bilder und stellen sie selbstbewusst zur Schau. Besonders der Bleistift strukturiert mit eben noch erkennbaren Hilfslinien, wilden Schraffuren oder als Zigarettenrauch, der immer wieder über den Szenen hängt. Skizzenhaft wirkt „Drei Wege“ darum aber keinesfalls, viel zu feinsinnig durchdacht und im Detail zu gründlich ist dafür das Arrangement der Szenen und Figuren des Comics.
Das Buch wirkt nicht unfertig, nein, wohl aber „unrund“, wenn man das so sagen kann. Und das ist wichtig, weil es ja auch inhaltlich um Biografien geht, die irgendwo ins Stocken geraten sind und die trotzdem fast mustergültig für ihre jeweiligen Generationen stehen.
„Drei Wege“ erzählt von drei jungen Frauen, die je 50 Jahre Historie trennen. In allen Zeitlinien vermengen sich da persönliche und weltgeschichtliche Krisen: Für Ida ist es 1918 der Erste Weltkrieg, bei Marlies sind es die auch persönlichen Unruhen von ’68 und Selin erfährt heute, wie es auch auf dem Höhepunkt sozialer Absicherung und finanzieller Möglichkeiten im wahrsten Sinne des Wortes lebensbedrohlich werden kann, keine Zukunftsperspektive zu haben.
Die Zutaten der Konflikte überraschen erst mal wenig: ein Jules-Verne-lesender Knabe, dessen Vater im Krieg gerade Franzosen totschießt, Marlies’Freund-Freund aus dem SDS, der sich nach dem Dutschke-Attentat mit ihrem Vater über die Bild-Zeitung streitet und so weiter. Aber gerade weil man’s alles irgendwie kennt oder es sich zumindest leicht vorstellen kann, liegen die eigentlichen Konflikte hinter den Motiven klar auf der Hand. Es geht um die Regeln, nach denen dieses immer gleiche Spiel mit über die Zeiten wechselnden Inhalten abläuft: um Klassen, Geschlechter und Familienordnungen – und damit um die oft sehr begrenzten Möglichkeit, sich eine eigene Zukunft zu gestalten. Dass es hier um drei Frauen geht, lädt alle verhandelten Themen nochmals extra auf, egal ob Kinder, Arbeit, Liebe oder Politik.
Die Idee dieser generationenübergreifenden Frauengeschichte ist nicht neu. Sie war vor nicht allzu langer Zeit sogar mal in aller Munde, wegen der Oskar-prämierten Verfilmung des seinerseits Pulitzer- und Faulkner-honorierten Romans „The Hours“ von Michael Cunningham. Julia Zejn erzählt nun mit ähnlichen Mitteln drei Geschichten, nur eben in Deutschland und mit Figuren, die doch etwas alltäglicher daherkommen als so eine Virginia Woolf in „The Hours“. Und wie gesagt: mit zeichnerischen Mitteln, die aus scheinbaren Skizzen eine fragile und ausdifferenzierte Comic-Komposition arrangieren. Dass „Drei Wege“ ein Debüt ist, glaubt kein Mensch. Ist aber so.
Was „The Hours“ und auch den „Drei Wegen“ gelingt, ist die Verzahnung der Zeitlinien, ohne darum auf eine blöde Pointe hinauszulaufen. Nein, die drei sind nicht Oma, Mama und Tochter – und ihre Geschichten darum auch kein zur Familiengeschichte ausgewalzter Einzelfall. Die geschickt in drei Erzählungen platzierten Parallelen verengen nichts, sondern deuten im Gegenteil über das Buch hinaus: auf das, was diese Gesellschaft immer noch an Zumutungen bereit hält.
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