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So viel Kritik muss sein: Jan-Paul Koopmann über Jef Geys im Künstlerhaus am DeichKunst kauftKäseblatt

Ein Witz ist sie nicht, diese Ausstellung von über vier Jahrzehnten Käseblatt. Aber sie dokumentiert einen. Kempens Informatieblad ist eine Lokalzeitung in Künstlerhand. Jef Geys hat das um 1970 insolvent gegangene Anzeigenblatt in der Provinz Antwerpen aufgekauft und in sein persönliches Periodikum umgewandelt: Bis zu seinem Tod im vergangenen Jahr hat er darin seine internationalen Ausstellungen dokumentiert – die letzte ist gerade erst in Singapur zu Ende gegangen. Aber Geys hat auch eine Art Lokaljournalismus betrieben, wenn es ihm in den Kram gepasst hat.

Als im flämischen Umland die Fabriken schlossen, hat er schnell gemerkt, dass sich die kapitalistische Zurichtung der Gesellschaft, wo sie konkret wird, im Kontext musealer Kunst nicht treffsicher kritisieren lässt. Und da hat er den eben eine Weile gemieden, wie im Informatieblad nachzulesen ist, und stattdessen Presse gemacht. Für Teile des Kunstbetriebs dürfte das eine willkommene Atempause gewesen sein: Kurz zuvor hatte Geys im „Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen“ akkribische Berechnungen darüber ausgestellt, wie sich eben dieses Gebäude am zuverlässigsten in die Luft sprengen ließe. Konzeptkunst, die man damals nicht durchweg mit Humor nehmen wollte.

Geys hat in den folgenden Jahrzehnten nicht nur seine Ausstellungskataloge ins Zeitungsformat gepresst, sondern sie dort auch zur Diskussion gestellt. „Embedded Criticism“, würde man heute sagen – damals war es wohl vor allem eine Strategie, die Kunst aus ihrem starren Rahmen zu befreien. Dass er nicht einfach irgendeine serielle Künstlerpublikation startete, sondern ein mit Werbung überladenes Medium übernahm, erschließt sich auch erst in diesem Zusammenhang. Wegen der dumpfen Verkauferei war Kempens Informatieblad Feindesland für die Kunst – mit der Pleite war es aber auch für den Markt verloren.

Erstmals vollständig ausgestellt erweist sich Kempens Informatieblad als wertvolle Retro­spektive eines Künstlers, der oft vorsätzlich unter dem Radar geblieben ist. Die Schau ist aber noch mehr als das, weil die Arbeit an der Zeitung selbst eine Schlüsselfunktion in Geys Werk einnimmt. Die permanente Überschreitung von Kunstproduktion, -dokumentation, Medienzirkus und Selbstverlag hat sein Werk geprägt und ist vielleicht eben der rote Faden, den seine Arbeiten sonst vermissen lassen und der frei schwingt zwischen bösartigem Humor und echtem Interesse an Problemen des provinziellen Lebens.

Ausstellung: Jef Geys – Kempens Informatieblad. Bis 24. 3. 2019.

Führung: Anne Thurmann-Jajes und Nadja Quante führen durch die Ausstellung. Künstlerhaus, Am Deich 68/ 69, heute, 18 Uhr

Die letzte Führung am Mittwoch gibt Künstlerhaus-Leiterin Nadja Quante zusammen mit Anne Thurmann-Jajes, die als Leiterin des Zentrum für Künstlerpublikationen in der Weserburg noch einen vertiefenden Blick auf dieses überquellende Archiv beisteuern kann. Denn ein bisschen Hilfe dürften die meisten Besucher*innen nötig haben: Zwar gibt es einige deutsch- und englischsprachige Ausgaben, aber die meisten sind dann doch auf Flämisch.

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