So viel Kritik muss sein: Benno Schirrmeister über „Einer geht noch“ mit und über Mateng Pollkläsener: Ein entsetzlich komisches Leiden
Rührung zulassen – das fällt Mateng Pollkläsener sichtlich schwer. Der Spezialist für mit erbittertem Ernst ausgespielte Quatsch-Aktionen wirkt fast etwas verloren, als ihn am Sonntagabend nach der Uraufführung von „Einer geht noch“ das ausverkaufte Kleine Haus des Theater Bremen mit Standing Ovations überschwemmt.
Denn das ist sein Beifall, obwohl Ko-Akteur Walter Pohl kaum weniger Text hat als er. Aber es ist ja sein Stück, verfasst von Hans König, ein Stück über ihn, Mateng Pollkläsener, über sein Bühnenleben von den Anfängen in der Paderborner Fußgängerzone bis zur Verweigerung des bitteren Endes. Und es ist ein Stück über seine Krankheit, Polyneuropathie, also den Verlust der Leitfähigkeit der Nervenzellen, die eine Existenz als Schauspieler eigentlich unmöglich machen würde. Das Stück zeigt – und das ist ziemlich intim – wie Pollkläsener ihre Folgen, seinen torkelnden Gang etwa, einbaut in die Rollen; wie er mit ihr spielt und wie er sie dadurch niederzuringen versucht, bis man fast glaubt, sie wäre besiegt.
Königs Textbuch hat die Krankheit personifiziert. Und Pohl erweckt sie mit Bosheit zum Leben, die vor Kitsch bewahrt, in den ein Übermaß an Wahrheit auf der Bühne abgleiten kann: Pollkläsener muss dagegen ja als er selbst bestehen. Und das wäre eigentlich zum Heulen. Aber wie er’s tut, wie er sich aussichtslos versucht, in eine Reisetasche zu zwängen, als Urmensch grimassiert oder als einsamer Träumer mit seinem Staubsauger abhebt, das ist eben auch komisch. Es zwingt zum Lachen, sodass man fast ein schlechtes Gewissen bekommt. Da hilft nur: Rührung zulassen.
Nächste: 21. 9. Theater Bremen, 20 Uhr
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