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So gut geht's den Sozialschmarotzern

Methode „Focus“: Wie das bunte Nachrichtenmagazin Stimmung gegen „Sozialbetrüger“ macht und mit halbgaren Informationen und falschen Betrügern Futter für den Stammtisch liefert  ■ Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – Über den Sozialstaat läßt sich trefflich debattieren, aber bitte nicht zu kompliziert. Den LeserInnen des Magazins Focus, der angeblichen „Info-Elite“, trauen dessen Macher jedenfalls nicht viel zu. In seiner neuesten Ausgabe beschreibt das Magazin auf sieben Seiten „das süße Leben der Sozialschmarotzer“. Und so wird damit Stimmung gemacht:

1. Einen Trend konstruieren:

„Immer mehr Bundesbürger bedienen sich reichlich“, heißt es im Untertitel. Tatsache ist: Die Zahl der Sozialhilfeempfänger und Arbeitslosen ist gestiegen – der Anteil der „Sozialbetrüger“ aber ist nach den Umfragen des niedersächsischen Sozialforschers Werner Bruns gleich geblieben. Bruns, im Artikel mehrfach zitiert, befragte 500 Amtsleiter und Sachbearbeiter, wie hoch sie den Anteil der mißbräuchlich in Anspruch genommenen Sozialleistungen schätzen. Die Quote war gegenüber seiner ersten Umfrage vor drei Jahren gleich geblieben, bestätigte Bruns gegenüber der taz. Im übrigen ist die Zahl der vom Arbeitsamt eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Mißbrauchs im letzten Jahr sogar leicht gesunken.

2. „Experten“ schätzen lassen:

Nach Bruns' Umfrage schätzten die befragten Behördenmitarbeiter den Mißbrauch auf fünfzehn bis zwanzig Prozent der Sozialleistungen. Sie zählten zum „Mißbrauch“ beispielsweise auch Arbeitslosengeld, das in Anspruch genommen wurde, obwohl die Betroffenen nach Behördenmeinung eigentlich einen Job hätten finden müssen. Einen objektiven Beweis für solche Annahmen aber kann es nicht geben.

3. Einzelfälle herauspicken:

Der Sprachforscher Hans Uske wies unlängst auf die große Bedeutung von medienträchtig aufbereiteten Einzelfällen hin, mit denen sich die öffentliche Diskussion über „Sozialschmarotzer“ immer wieder anheizen läßt. Der Focus- Bericht beginnt mit einem Anlagebetrüger, der nebenbei noch Arbeitslosenhilfe kassierte. Weiter erscheint ein afghanisches Ehepaar, das wegen der Schwangerschaft der Ehefrau aus Deutschland nicht abgeschoben werden konnte, Sozialleistungen kassiert und Landsleute in Sachen „Sozialbettelei“ berät.

Als Gegengewicht eines „echten“ Armen bringt Focus dann den alleinerziehenden Familienvater mit drei Kindern, der als Sozialhilfeempfänger geächtet wird. Alleinerziehende Mütter kommen wiederum schlechter weg. „Zum Alltag gehört heute die alleinerziehende Mutter, die gleich einen Antrag auf Bekleidungsbeihilfe im Wert von 4.000 Mark mitbringt“, klagt ein Mitarbeiter einer Sozialbehörde in Bayern.

4. „Betrüger“ selbst einsetzen:

Ein Obdachloser kurvte – offensichtlich im Auftrag von Focus – als Bedürftiger von Sozialamt zu Sozialamt und kassierte immer freitags jeweils 51 Mark „Wochenendstütze“ pro Amt. Am Ende bezahlte ihm ein Sozialamt im Chiemgau sogar den Aufenthalt in einer Frühstückspension mit Bergblick: fürs Illustriertenfoto vom „Schmarotzer“ auf Staates Kosten.

5. Willkürlich interpretieren:

In dem Bericht wird auf eine Studie verwiesen, nach der die Hälfte der Armen nur bis zu einem Jahr in der Sozialhilfe bleibt. Fazit: Dies sei Mißbrauch, diese Bedürftigen nutzten „das Netz als Trampolin“. Armutsforscher betrachten die häufig kurze Verweildauer aber als eine erfreuliche Nachricht, denn offenbar finden die meisten Leistungsempfänger einen eigenen Weg aus ihrer Misere.

Auch Sozialforscher Bruns findet sich nicht vollständig widergegeben: „Entscheidend ist doch der Mißbrauch von Sozialleistungen durch die Mittelschicht. Dazu gehören auch Steuerhinterziehung und Wirtschaftskriminalität. Dieser Aspekt kam eindeutig zu kurz.“

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