: So darf keine sein
■ Heute startet Chabrols Film über die Engelmacherin Marie-Louise Giraud
Maria Neef-Uthoff
In Frankreich hatten die Katholiken gegen Claude Chabrols „Eine Frauensache“ fast soviel wie gegen Scorseses Jesusfilm. In einem Pariser Kino explodierte sogar eine Tränengasgranate, einer der Zuschauer starb an seinen Verletzungen. Grund für die Aufregung war vermutlich nicht nur Maries blasphemisches Gebet: „Gegrüßest seist du ... voller Scheiße“, sondern auch die kritische Betrachtung der Vichy-Regierungszeit.
Der Film ist blau. Blau ist eine kalte Farbe. Die Farbe der Distanz. Eimal sieht man das Meer. Ein anderes Mal ein preußischblaues Tor. Die Deutschen haben Paris besetzt. Die Franzosen werden von Vichy aus regiert. Herr Petain ist am Ruder. Blau die Farbe des Himmels: All dies viele überflüssige Blau, sie sagt es, als sie im Polizeiauto durch Paris fährt.
Die ganze Stadt durch ein winziges Fenster. Kann man den Eiffelturm sehen? Ob er ihr irgendwie helfen kann. Der Anwalt soll eine Postkarte vom Eiffelturm kaufen. Für ihre Kinder. Damit sie es schwarz auf weiß haben.
Später wird sie hingerichtet.
Die Geschichte ist authentisch. Marie war eine Frau aus Cherbourg, die im besetzten Frankreich Abtreibungen machte. Zunächst aus Freundschaft, später gegen Geld. 1943 verurteilte ein französisches Sondergericht sie zum Tode. Sie wurde als eine der letzten Frauen enthauptet.
Sie ist arm. Zwei Kinder hat sie. Sie regelt das Leben allein, der Mann ist im Krieg. Später, als er zurückgekommen ist, regelt sie das gemeinsame Leben. Sie verdient mit Abtreiben Geld, und bringt es Schritt um Schritt zu ein bißchen Wohlstand. Es bleibt der Wohlstand der Armen. Man erkennt ihn an den Geschmacklosigkeiten. Bunte Vorhänge zu geblümten Tapeten. Zerbeulte große Töpfe. Zu große Möbel in zu kleinen Zimmern. Aber ein Haus. Und schönere Kleider. Und Gesangstunden. Den Jungen nennt sie „mein häßliches Entlein“. Das Töchterchen „das Beste, was ich je hervorgebracht habe“.
Ein Mann erzählt die Geschichte einer Frau, ein Mann kümmert sich um „eine Frauensache“. Er macht den Film, sie ist die Frau. Isabelle Huppert ist Marie. Man vergißt, daß sie es nicht ist.
Schnell, noch ein bißchen Parfüm. Sie sieht aus wie ein Bonbon. Helle Farben, flatternder Rock und ein vorn geknotetes Tuch überm Haar. Die Kinder spielen im Hof. Madame, das ist meine Mutter, sagt der Junge stolz. Sie hat noch etwas vergessen, kramt, und noch einmal Parfüm, die Beine auseinander und unter den Rock mit dem guten Duft, fertig.
Es klingelt an der Wohnungstür. Die Frau sieht müde und streng aus. Die Schwester sei tot. Marie sei schuld. „Die kleinen Seelen wollen leben. Es ist Sünde.“ Aber, sagt die Frau und zieht einen Packen Geld aus der Tasche. Nicht nötig, sagt Marie und nimmt das Geld doch, steckt es ein. Nur weg, sie will zu ihrem Geliebten.
Er beachtet sie nicht. Zu spät kommen duldet er nicht bei Frauen, sagt der Schöne kalt. Er darf, was ihr Mann nicht darf. Anfassen, knutschen, gemein sein. „Schämst du dich wegen deiner Sommersprossen?“ hat er sie beim Kennenlernen gefragt. Er ist ein Kollaborateur, der für die Deutschen „Unkraut jätet“:
Isabelle Huppert und Claude Chabrol halten die Zuschauer auf Distanz. Distanz ist gut, sie schützt. Schutz ist nötig, weil dies ein Film ist, wo die Seele des Zuschauers wie ein Federchen hin und her bewegt wird. Distanz weist das Federchen auf seinen rechten Platz zurück.
Chabrol wahrt Distanz, indem er die Dinge groß und lange ins Bild holt. Ihnen neben den Menschen Bedeutung gibt. Dinge des Alltags. Ein Fenster, ein gedeckter Tisch, ein Küchenherd mit Geschirr. Dinge für die Rituale der armen Leute. Seife und Schlauch. Ein Klistiergerät. Sie macht es mit Seifenlauge. Beim ersten Mal noch unsicher.
Die Abtreibungen sind Nebensache. Neben allem anderen. Weil sie Wohlstand versprechen, weil sie so oder so ins Leben eingreifen, sind sie dennoch wichtig. Isabelle Huppert zeigt eine Marie, wie sie das Leben hervorbringt: launisch, euphorisch, frivol, gierig, hilflos, fröhlich, kindlich, liebherzig und erwachsen. Man betrachtet sie von außen und innen. Wenn sie groß und allein im Bild ist, dann ist man bei ihr. Ist sie mit Männern, sieht man sie ganz anders als mit Frauen.
Manchmal geht sie zu weit. Sie läßt die Hausangestellte die Abtreibung machen, damit sie im Nebenzimmer mit ihrem Geliebten vögeln kann. Aber gerade, wenn man sich distanziert hat, wenn man beginnt, sie moralisch zu verurteilen, wechselt die Perspektive, und man verzeiht ihr, wie man sich im Zweifelsfall auch selbst verzeiht. Frivol wie im Leben.
Sie betet: „Gegrüßet seist du Maria voll mit Scheiße, verfault ist die Frucht deines Leibes.“ Dann werden ihr die Haare abgeschnitten.
Man kommt aus dem Kino und ist niedergeschlagen. Man ist so gefangen, weil die Lieblichkeit dieser Frau so fehlerhaft ist wie ihre Naivität und ihr Geschäftssinn. Gerade ist man dabei, sie moralisch doch für nicht ganz in Ordnung zu halten, sie zu verurteilen, da ist es schon passiert. Vor einem Sondergericht. So haben wir es nicht gewollt.
So wie Marie darf keine sein. Dieser Fleck Mensch, der es wagt, sich auch im Krieg noch ein gutes Leben vorzustellen, die selbst aber nicht einwandfrei ist, rüttelt am Bösen im eigenen Herzen.
Am 30. Juli 1943 wurde Marie-Louise Giraud hingerichtet. Sie sollte als abschreckendes Beispiel dienen. Petain hält die traditionellen Werte hoch, Kinderreichtum wird steuerlich belohnt, und Abtreibungen werden streng bestraft. Mit Eine Frauensache hat sich Chabrol zwei Tabuthemen gegriffen: Abtreibungen und die Vichy-Regierung.
Deutsche Uniformen, Frauen, die mit „Bismarcks“ vögeln, Kollaborateure, und eine Regierung die den Deutschen in den Hintern kriecht, und aus eigenem Antrieb Juden deportiert.
Wie bedeutungsvoll da ein Satz wird: „Sie haben so schöne Augen, mein Fräulein.“ Dahingesagt, bei einer kleinen Tanzerei in der Eckkneipe. Ein Satz von Frau zu Frau. Eine Persiflage auf die Männer. Und mehr. Zwei Frauen, die in schlechten Zeiten den Abend feiern. Auf dem Nachhauseweg lachen sie laut und albern, trotz Uniform und Sperren ringsherum. Sie schenken sich kleine Zärtlichkeiten.
Rahel ist fort. Einige Tage später. Rahel ist Jüdin. Marie sagt: Rahel, die ist niemals Jüdin, die doch nicht. Als sei es etwas Schlimmes.
Claude Chabrol: Une affaire de femmes, nach wahren Begebenheiten und nach Francis Szpiner, mit Isabelle Huppert, Marie Trintignant, Marie Bunel, Dani, Frankreich 1988, 110 Min.
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