: „So bin ich nicht!“ Der Vize geht von Bord
JUSTIZ Im Kriegsverbrecherprozess gegen die ruandische FDLR-Miliz sagt erstmals einer der Angeklagten aus und distanziert sich
STRATON MUSONI VOR GERICHT
AUS STUTTGART DOMINIC JOHNSON
Der Angeklagte strahlt. „Guten Morgen!“, ruft Straton Musoni fröhlich, als er am Morgen des 5. August in Handschellen in den Saal 6 des Oberlandesgerichts Stuttgart geführt wird. Sonst verlieren sich auf den Zuschauerbänken meist nur drei oder vier Dauerbeobachter des seit 2011 laufenden Kriegsverbrecherprozesses gegen die politische Führung der im Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Jetzt sind immerhin 15 gekommen. Denn zum ersten Mal überhaupt sagt einer der Angeklagten aus.
Auf Deutsch verliest Straton Musoni, 1. Vizepräsident der FDLR, eine ausführliche Erklärung. Musoni und FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka sind angeklagt, als „militärische Befehlshaber“ Kriegsverbrechen der FDLR im Kongo 2008–2009 nicht verhindert zu haben.
„Ich bestreite alle Vorwürfe“, sagt Musoni. „Ich erkenne mich in der Anklage nicht wieder. So bin ich nicht.“ Der 51-Jährige schildert seinen Werdegang: religiöse Erziehung, kleines Priesterseminar, Arbeit als Postbeamter, ab 1986 Studium in Deutschland. Die geplante Heimkehr im April 1994 verhinderte der Völkermord an Ruandas Tutsi. Musoni blieb in Baden-Württemberg und wurde Computerfachmann. Nebenbei war er in Hutu-Exilorganisationen aktiv und schließlich Mitgründer der FDLR, die am 1. Mai 2000 im kongolesischen Lubumbashi entstand, „mit Unterstützung der kongolesischen Regierung“.
Die Initiative zur Gründung der FDLR ging, so Musoni, von den in den Kongo geflohenen Truppen der ehemaligen ruandischen Hutu-Armee aus, in der sich auch Täter des Völkermords befanden. Diese „Spezialkräfte“, wie Musoni sie nennt, kämpften damals im Kongokrieg aufseiten der Regierung Kabila. Weil sie fürchteten, dass Kabila sie nach Hause schickt, gründeten sie eine politische Interessenvertretung: die FDLR. In Musonis Worten: „Es ging nicht um eine Fassade, um die Beteiligung der Armee am Völkermord zu verschleiern. Sondern darum, Personen zu finden, die durch ihre Erfahrung, Reisemöglichkeiten und Kommunikationsmittel in der Lage wären, politische Verhandlungen zu führen.“
Zu diesen Personen gehörte Musoni. Er, Murwanashyaka und ein Exilruander aus Belgien waren die einzigen ruandischen Exilanten aus Europa, die zur FDLR-Gründung anreisten.
Für jemanden, der so früh im innersten Zirkel dabei war, gibt er sich in der Folgezeit als erstaunlich ahnungslos. Er habe „kein Entscheidungs- oder Mitspracherecht“ gehabt, sagt Musoni. Verbrechen, wie sie die Anklage der Miliz vorwirft, hätte er nicht für möglich gehalten. Er lobt die „Spezialkräfte“ für „ihr Organisationstalent, ihre Disziplin, ihren Glauben an Gott“. Von Verbrechen der FDLR habe er gelesen, zum Beispiel in der taz, aber „die Schlussfolgerung (der Anklage), ich hätte alles wissen müssen, ist nicht richtig.“
Auf die Grundidee der FDLR lässt Musoni nichts kommen. Die Massaker an Hutu-Flüchtlingen im Kongo 1996 hätten ihn davon überzeugt, dass die Flüchtlinge eine eigene Armee brauchen, sagt Musoni. Den Vorwurf, die FDLR wolle Ruandas Regierung stürzen und ein Hutu-Regime errichten, kommentiert er: „Mit gleicher Berechtigung könnte man sagen, Ziel der Grünen sei es, die CDU/FDP zu stürzen, um das Land ins Mittelalter zurückzuversetzen.“ Sich selbst vergleicht Musoni als 1. FDLR-Vizepräsident mit dem deutschen Vizekanzler Philipp Rösler. Den Militärs habe er nichts zu sagen gehabt. Den Präsidenten habe er nur in zivilen Angelegenheiten vertreten. Die militärische Vertretung des Präsidenten obliege dem 2. Vizepräsidenten. Durch solche Aussagen und dadurch, dass er überhaupt aussagt, distanziert sich Musoni von seinem mitangeklagten Präsidenten, den er als „Freund“ bezeichnet. Die beiden, getrennt nur durch einen Justizbeamten, würdigen sich kaum eines Blickes.
„Ob der FDLR insgesamt Vorwürfe gemacht werden können, kann ich nicht beurteilen“, sagt Musoni abschließend. Er spricht „allen Opfern des Krieges mein Mitleid und Mitgefühl aus … Ich distanziere mich von solchen Verbrechen und verurteile sie.“
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