piwik no script img

Smily: "Das versteht Ihr sowieso nicht"

■ Prozeß gegen einen Sprayer hinterläßt ungutes Gefühl / Über die Schwierigkeit, Recht zu sprechen und gerecht zu sein

hinterläßt ein ungutes Gefühl / Über die Schwierigkeit, Recht zu sprechen und gerecht zu sein

Am Ende des Prozesses schüttelte eine Zuschauerin im Saal 142 des Justizgebäudes am Sievekings- Platz heftig den Kopf: „Das so ein Urteil sein darf.“

Hätte Richter Nesemann diese spontane Unmutsäußerung gehört, wäre er mit ihr sicherlich nicht einverstanden gewesen. Denn daß er sich bei der Verhandlung gegen den Angeklagten Walter F. streng an Recht und Gesetz gehalten hat, könnte er mit gutem Gewissen behaupten.

Dennoch hinterläßt der Prozeß, in dem sich der 43jährige F. als Sprayer von sogenannten Smilies an Wänden und Verkehrsschildern verantworten mußte, ein ungutes Gefühl. Der von Gutachtern als „minderbegabt“ und „beziehungsgestört“ bezeichnete Angeklagte wirkte sehr hilflos vor den Schranken des Gerichts. „Vertrauen ist gut, Mißtrauen ist besser“, sagte er. Viele Vorhalte verstand er nicht, weil ihm das urteilende Denken des Gerichts fremd ist. Auf die Frage von Richter Nesemann nach dem Beweggrund für das Aufsprühen der lachenden Gesichter meinte er nur unsicher: „Das versteht Ihr sowieso nicht.“

Erwischt wurde Walter F., der lange Zeit durch Asien gereist war und dort sehr einfach und naturverbunden gelebt hatte, mehrmals. Verkehrszeichen habe er besprüht, weil für die Menschen „Autos immer an erster Stelle sind und dann erst die Mutter“. Die Gesichter fand der elternlos in Heimen aufgewachsene F. „einfach lustig“. Einmal sagten Polizisten zu dem schmächtigen Mann, der durch eine sogenannte Hasenscharte sehr undeutlich spricht: „Mißgeburten mögen wir hier nicht.“ Da hatte er gerade das anarchistische „A“ an eine McDonalds-Filiale gesprüht. Er hielt das Zeichen für eine Abkürzung von „Atomkraftwerk“ und wollte damit gegen mögliche Mißbildungen von Kindern durch radioaktive Strahlung protestieren.

Im Laufe des Prozesses wurde immer deutlicher, daß sich Menschen gegenübersaßen, die sich nicht miteinander verständigen konnten. Besonders offensichtlich war die Mißachtung bei zwei Referendarinnen, die neben Richter Nesemann saßen. Ihre Blicke auf Walter F. schwankten zwischen Hochmut gegenüber dem „Minderbegabten“ und oberflächlichem Mitleid mit dem Lebensschicksal des Angeklagten. Eine deutlich geäußerte Überlegenheit verließ das Gericht nie.

1So ist auch das harte Urteil von sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung zu erklären. Rechtlich zu vertreten — wegen einschlägiger Vorstrafen von F., der von der So-

1zialhilfe lebt. Aber menschlich nicht zu verstehen. Vor allem, wenn man die Art der Vergehen bedenkt. Nur einmal soll F., zu dessen Gunsten verminderte Schuldfähigkeit ange-

1nommen wurde, auf dem Jungfernstieg den Mantel einer Frau mit Tinte besprüht haben. „Böse Wohlstandsweiber“, sagte er in der Verhandlung dazu. Torsten Schubert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen