: Skinhead-Erotik
■ Der neue Comic des Hamburger Zeichners Markuß Golschinksi: provokant und wortkarg
Ein Wagen rast in Müllcontainer. Polizeibeamte sichern die Situation mit vorgehaltener Waffe. Der Comic Krm Krm beginnt wie eine wohlkonstruierte Kriminalstory. Tatsächlich geht es um Erotik und Gewalt – doch ganz anders als erwartet.
„Es ist eine autobiographische Geschichte“, ordnet der Hamburger Zeichner Markuß Golschinski seinen Comic ein. „Von kleineren Veränderungen abgesehen ist es im Kern so passiert“: Die Hauptfigur Markuß leistet 1986 im „Heim zur Wiedereingliederung straffällig gewordener Jugendlicher“ seinen Zivildienst ab. Ein Neuer wird dort eingeliefert. Er heißt Udo und ist Skinhead. Sobald er die Wollmütze abnimmt und seine Glatze zeigt, erwartet man von dem Autor Stellungnahmen zu brennenden Asylantenheimen und Rechtsterrorismus.
Aber Markuß Golschinski geht das Risiko ein, in Krm Krm unpolitisch zu bleiben – in einer Zeit, in der von allen Seiten Skinheads als Argument dienen, um Politik durchzusetzen. Stattdessen erzählt Golschinsky vom Lebensgefühl an der Schwelle zum Erwachsenwerden, von der verhaltenen körperlichen Spannung und der immer präsenten Möglichkeit von Erotik oder Gewalt. Er zeigt dies anhand der Körperbewegungen und der Posen während alltäglicher, unspektakulärer Begebenheiten. Das erfordert einige Aufmerksamkeit beim Lesen und Sehen.
Mit seiner unauffälligen Choreographie der Leiber trifft Golschinski die besondere, sprachlose Körperlichkeit der Skinhead-Szene. Dieser Körperlichkeit und ihrer Anziehungskraft spürt er in Krm Krm nach. Erst auf der sprichwörtlich letzten Seite löst sich die Spannung auf.
„Ich bin sechsmal auf den Comiczeichnerseminaren in Erlangen gewesen. Dort lernt man viel über graphische Erzähltechnik“, gibt Golschinski offen zu. Besonders Einflüsse des Argentiniers Munoz, dem Meister des anspruchvollen Krimicomics, und der Hernandez-Brüder, den Stars der US-amerikanischen alternative comics, sind erkennbar. Wie sie benutzt auch Golschinski einen leicht abstrakten Zeichenstil, gliedert die Seiten in einfache Raster, arbeitet mit dem Kontrast schwarzer und weißer Flächen und stillen, wortlosen Passagen.
„Aber die Ästhetik, die in Erlangen vertreten wird, die Fixierung auf das große, aufwendige Comicalbum nach französischem Vorbild, ist für das, was ich will, eine Sackgasse“. Golschinski will nicht Kunst für die Regale weniger Liebhaber produzieren, sondern kommunizieren. Er paßt damit zu einem neuen Trend in der Comicszene, der von einer neuen Generation junger Comicautoren und Kleinstverlagen (besonders Jochen Enterprises und Reprodukt) getragen wird: weg von der Neunten Kunst, wie Comics in den romanischen Ländern gerne bezeichnet werden, hin zur authentischen Erzählung über eigene Erfahrungen. Golschinski orientiert sich an der Tradition US-amerikanischer alternative comics. Dort überrascht es niemanden, wenn große literarische Leistungen im Micky Maus-Format erscheinen.
Markuß Golschinski zeigt im Krm Krm, daß Skinheads nicht nur als politisches, sondern auch als ein körperliches Phänomen begriffen werden können. Er weigert sich, die Irrtitation, die Skinheads hervorrufen, mit einer Sprachformel wegzuwischen. „Einige meiner Freunde haben mich dafür heftig angefeindet“, berichtet er. „Autonome haben oft sehr strikte Vorstellungen davon, was man denken und tun darf – ähnlich wie Skins. Ich glaube, die meisten sehen, wenn sie von Skinheads reden, gar nicht mehr die Glatze von nebenan, sondern meinen etwas ganz anderes.“ Golschinski ist mit Krm Krm ein politisches Risiko eingegangen – und unpolitisch geblieben.
Elmar Klages
Krm Krm, Reprodukt, 8 Mark.
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