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Skepsis im Sächsischen

■ Ein Rückblick auf die Leipziger Buchmesse

Auf der Leipziger Messe gibt es einen Fahrstuhl, und der hat einen Fahrer. Der brauchte sich um Beschleunigung nicht zu kümmern, da die Maschine auch ohne sein Zutun und seine Begleitung immer dieselbe Strecke in immer derselben Zeit zurücklegt. Der Mann versieht seinen Dienst mit Vergnügen. Die Buchmessenbesucher der alten BRD, von der Erkenntnis überrascht, daß es noch Arbeitsplätze ohne Produktivitätsnachweis gibt, erinnern sich seiner wie der Garderobiere im Restaurant mit Wehmut.

Auf der Buchmesse Leipzig gab es auch ein Pressezentrum, und dort konnte man tatsächlich arbeiten. Aber es schien nicht nötig zu sein: Die freundliche Ruhe, die dort herrschte, führte die Skepsis im Gefolge, ob ein weder überfülltes noch arbeitserschwerendes Pressezentrum nicht darauf hinweise, daß das Objekt seiner Beschäftigung dieselbe vielleicht nicht lohnt.

Viele haben sich bemüht. 340 Verlage aus der alten BRD waren gekommen, wenn auch keineswegs durchweg die besten. Die Geschäftemacher vertraten sich platzraubend, die literarischen Verlage eher bescheiden. Die kleineren unter ihnen konnten sich die Reise ohnehin nicht leisten (und erwarteten zu Recht wenig Absatz), die großen beschränkten sich nicht selten auf eine erfahrene Crew zum Verkauf und ließen die Repräsentanten zu Hause. Der von west- und ostdeutschen Autoren der organisierten Art geäußerte Wunsch, aus der Leipziger Messe vor allem ein literarisches Ereignis zu machen, ist von seiner Erfüllung weit entfernt. Weder die großen Namen aus den FNL noch aus der alten BRD hatten sich ins Sächsische bemüht, um dem Ereignis Glanz zu verleihen. So schimmerte am düsteren Messehimmel einzig Hans Mayers breite hohe Stirn, dahinter die aufpolierten Erinnerungen: wie es damals war, in der großen Leipziger Zeit, als das Denken noch erlaubt gewesen sein soll. Die fast dreißig Jahre darauf traten beschämt ins Dunkel zurück, und auf stieg die leuchtende Utopie einer gestärkten DDR-Literatur.

Das hörte man selbstredend gern. Für die knapp 90 Verlage der FNL, natürlich überwiegend Neugründungen, war außerdem die schwache westdeutsche Konkurrenz von Vorteil, erhielten ihre Programme so mehr Aufmerksamkeit, als in Frankfurt je möglich wäre. Links- und Basisdruck, Reclam Leipzig, der Aufbau Verlag, das Druckhaus Galrev bestimmten mit ihren Autoren das Klima; die Wendeschicksale der größten, wie Aufbau und Reclam, sind typisch: Ersterer produziert, das Personal um mehr als zwei Drittel „verschlankt“, unverdrossen rund 250 Titel pro Jahr, zumeist für den westdeutschen Markt, und steht dem Vernehmen nach kurz vor dem Verkauf an „eine unabhängige Personengruppe“. Der Reclam Verlag Leipzig wiederum wehrt sich nach Kräften gegen die Forderungen der Stuttgarter Verlagsfamilie, das unter der Leitung von Stefan Richter begonnene literarische Programm wieder deutlich einzuschränken. Die Vermögensverhältnisse des doppelten Reclam sind noch nicht zur Neige geklärt, umso deutlicher ist aber schon, daß die Stuttgarter Gralshüter des deutschen Liedgutes von „Befiehl du deine Wege“ bis zur aktuellen Jahreszeitendichtung den Leipziger Übertragungen von Ketschua- Lyrik, modernen arabischen Autoren und solchen wie Djuna Barnes und John Berger nicht viel Verständnis entgegenbringen. Vielleicht also wird Iris Radisch mit ihrer in der 'Zeit‘ geäußerten Befürchtung recht behalten, der ostdeutsche Verlag verschwinde „hinter vergilbten schwäbischen Gardinen“. Nicht jeder stirbt für sich allein.

Begräbnis oder nicht war überhaupt die Frage, die in allen Gesprächen murmelnd erwogen ward. Auch wenn inzwischen entschieden ist, daß es Leipzig weiter geben wird, ist doch offensichtlich, daß man hier dem internationalen, leicht hybriden und durchprofessionalisierten Charakter der Frankfurter Herbstmesse geschäftlich nichts entgegensetzen kann. Der internationale Lizenzenmarkt fehlt gänzlich, die Öffentlichkeit hat andere Sorgen, und der Kanzler schaut nicht mal herein. Die Buchhändler der FNL kauften zwar großzügig ein, aber auch diese solidarische Geschäftspolitik glich die Verluste der westdeutschen Verlage nicht aus. Deren Präsenz, vormals durch das Ministerium für innderdeutsche Angelegenheiten pekuniär kräftig gestützt, war um ein Vielfaches teurer als bisher, und der eher osteuropäische Charme der Hotelzimmer und Salatteller zu nunmehr westdeutschen Preisen wird die Bereitschaft zur Wiederholung nicht erhöhen.

Der von unsereinem so gern als Volkes Stimme konsultierte Taxifahrer kannte wärend der gesamten Messe nur ein weltbewegendes Thema: den Leipziger Taxikrieg. Rückwanderer aus dem Westen, dort am Kapitalismus gescheitert, kennten kein größeres Begehren, als den Leipziger Taxlern ihre in teuren Ratenkrediten erworbenen Mercedes', Audis und Simcas abzujagen. Das geht, wie es scheint, nicht ab ohne massive Gewaltanwendung. Und weil die Polizei versagt (glücklicher wilder Osten!), haben sich die armen Lohnkutscher mit Sprechfunk und Handfeuerwaffen gegen derartige Überfälle gewappnet. Neulich haben sie einen, der einem Kollegen den Wagen klauen wollte, kurzerhand ins Krankenhaus geprügelt; und in der vergangenen Woche wurde dafür ein Taxler gelyncht. Dies alles ist gewißlich wahr, denn RTLplus hat darüber berichtet.

Vor dem Hauptbahnhof, gleich neben den Anlagen, die der Bürgermeister Müller seinen Bürgern dediziert hat, ziehen feurige Italiener den Leipzigern beim Hütchenspiel die neuen Hundertmarkscheine aus der Tasche. Auf der Messe wurden, für sehr viel weniger Geld, Konsalik, Danella und Werner feilgeboten. Und wer es wußte, bekam vom netten Herrn Groffy und von Suhrkamp Hans Mayers Turm von Babel sogar ganz umsonst. Der Autor selbst, gefeiert und beklatscht, erzählte im historischen „Kaffeebaum“ Schnurren von Schumann bis Gadamer und pries die weltliterarischen Qualitäten der DDR-Literatur. — Aber ob sie auch nach Westen ausgewandert ist oder schon wieder zurück, bereit zum Überfall, mochte keiner beantworten. Der Italiener am Bahnhof hatte jedenfalls nichts gehört.

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