Skater-Marathon: Die falsche Ausfahrt genommen
Vor dem Inlineskate-Wettbewerb des Berlin-Marathons gilt Jakobine Wolf als Geheimtipp. Doch die hohen Erwartungen kann die 20-Jährige aus Pankow nicht ganz erfüllen.
Es ist unter dem Brandenburger Tor, nur 500 Meter vor dem Ziel, als Jakobine Wolf das Rennen verliert. Die junge Berlinerin fährt am Ende des Pulks, hinter ihrer Teamkollegin Katja Ulbrich, und will nun, nach über 41 Kilometern, ihre letzte Chance nutzen. Sie schert nach links aus, Ulbrich bleibt in der Gruppe und nimmt die mittlere, breitere Durchfahrt. Wolf dagegen versucht es über den schmaleren Durchgang links daneben. Doch sie wird von voranfahrenden Skaterinnen abgedrängt, verliert an Schwung und ist im Endsprint chancenlos. So kommt sie am Samstag beim Marathon der Skater nur als Elfte ins Ziel, drei Plätze hinter ihrer Kollegin vom Experts Race Team und mit 1:14:49 Stunden zwei Sekunden hinter der Siegerin Cecilia Baena aus Kolumbien.
Wolf, 20 Jahre alt und geboren in Pankow, gehört zu den großen deutschen Nachwuchshoffnungen im Speedskating, wie das Inlineskaten auf Wettkampfbasis genannt wird. Diese Sportart ist dem Radrennen sehr ähnlich: Die Speedskater versuchen ebenso wie die Radrennfahrer den Windschatten zu nutzen und fahren deswegen meistens in Pulks, dazwischen gibt es Ausreißversuche einzelner Fahrer oder von Gruppen und am Ziel meistens Massensprints. Der Unterschied liegt - neben dem Fortbewegungsmittel - in der medialen Aufmerksamkeit.
Und so wurde der Sportart vor Kurzem wieder die Aufnahme in das olympische Programm verwehrt, diesmal für 2012 und 2016. Im Gegensatz etwa zu Golf, das von nun an olympisch ist. Wolf nimmt diese Entscheidung, die höhere Fördergelder verhindert, mit Ironie: "Uns wurde immer erzählt, dass neue Sportarten vor allem spannend sein sollen. Da passt Golf ja ganz gut."
Dabei hätte Speedskating besonders in Deutschland mehr finanzielle und mediale Förderung nötig, um zu den führenden Nationen Italien, Frankreich, USA und speziell Kolumbien aufschließen zu können. Dort ist Cecilia Baena ein Topstar, ziert Plakatwände und Zeitungstitel, und Inlineskating ist die drittpopulärste Sportart nach Fußball und Formel 1. Wolf dagegen muss bei Bahnrennen die Startgebühren selbst tragen. Die angehende Sportstudentin benötigt so immer noch die finanzielle Unterstützung der Eltern, obwohl sie zu den fünf besten Skaterinnen in Deutschland gehört, Dritte im Marathon und Siegerin mit der Staffel bei den deutschen Meisterschaften 2008 wurde. Sie kommt eigentlich von der Bahn, wo Rennen zwischen 125 und 400 Metern gelaufen werden. Deshalb ist sie auch erst 20 Marathons gefahren, davon zweimal in Berlin.
Der hiesige Marathon zählt zu den wichtigsten Wettbewerben im Speedskating. Obwohl zeitgleich die Weltmeisterschaften stattfinden, kommen die weltbesten Skater wie Baena oder Diego Rosero und Yann Guyader bei den Männern. Baena kommentierte denn auch ihren Sieg mit einer Liebeserklärung an das Rennen in der Spree-Metropole: "Wie kann man das beste Rennen der Welt verpassen?"
Auch für Wolf ist der Berlin-Marathon etwas Besonderes, vor allem wegen des Flairs und der vielen Zuschauer. Bei der diesjährigen Auflage rechnete sie sich erstmals Chancen auf die vorderen Plätze aus. Die äußeren Bedingungen - trocken und warm - kamen ihr entgegen. Nach dem Start fand sie sich am Ende des etwa 30-köpfigen Pulks wieder, versuchte möglichst viel Windschatten zu nutzen und unternahm nur wenige Attacken. Das Rennen begann sehr schnell, es gab einige Ausreißversuche von zwei oder drei Skaterinnen, die aber immer wieder eingeholt wurden. Nach 25 Minuten kam das "Bummeln", für Wolf "fühlte es sich an wie Stehen" - bei 25 Stundenkilometern. Alle warteten ab, keiner wollte führen. Bis zum Sprint am Brandenburger Tor. Dort hätte sie sich wie Teamkollegin Ulbrich an der erfahrenen Belgierin Hilde Goovaerts orientieren sollen, die eine "gute Linie" fuhr und vor Ulbrich als Siebte ins Ziel kam. Knapp verpasste sie so mit Platz 11 aber ihr Vorhaben, unter die Top 10 zu kommen.
Mit 20 Jahren steht Wolf freilich noch am Anfang ihrer Karriere, fuhr ihren ersten Berlin-Marathon im Team. Sie will sich von Jahr zu Jahr steigern. Nächstes Mal ist sie auf jeden Fall wieder in ihrer Heimatstadt dabei. Und dann weiß sie bestimmt auch, welche Durchfahrt sie nehmen muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!