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Archiv-Artikel

Skandale waren gestern

La familia aus Fußball und Politik hält zusammen. Borussia Dortmund prosperiert, alle Schiedsrichter verbrennen ihre Wettscheine. Und ganz Deutschland freut sich ungetrübt auf die Fußball-WM 2006

AUS DORTMUNDKLAUS JANSEN

Gerd Niebaum stromerte von Stehtisch zu Stehtisch, auf der Suche nach Ansprechpartnern. Ein Händedruck vom früheren Aufsichtsrat hier, ein Lächeln vom mühsam toupierten Herrn dort, schließlich ein Glas zu Trinken, geordert von NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) – es waren kleine Gesten, die dem zurück getretenen Präsidenten von Borussia Dortmund signalisierten, dass er trotz Millionenpleite und einer laufenden Anzeige wegen Kapitalanlagebetrugs durchaus noch gesellschaftsfähig ist.

Die Eröffnung des WM-Globus – eine beleuchtete und begehbare Kugel zur Verherrlichung der Fußballkultur – in Dortmund war Niebaums erster Termin in der Öffentlichkeit, seit er bei der Borussia aus Amt und Würden gegangen worden ist. Als Chef der Dortmunder Außenstelle des Organisationskomitees für die Fußball-WM 2006 durfte er dennoch am Montagabend die Würdenträger empfangen, die ihn in seinem Leben als Fußball-Funktionär begleitet haben: Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) und NRW-Ministerpräsident Steinbrück, WM-Cheforganisator Franz Beckenbauer und den NRW-WM-Beauftragten Reiner Calmund. Die Gäste wahrten Anstand und grüßten höflich.

Die bereitwillige Resozialisierung Niebaums hatte Symbolkraft: Deutschlands fröhliche WM-Macher wollen sich die Vorfreude auf den Fußballsommer 2006 nicht durch unliebsame Problemchen wie beinahe-bankrotte Traditionsklubs und manipulierende Schiedsrichter kaputt machen lassen. „Es ist doch seltsam. Da wollen wir Kulturveranstaltungen ankündigen und müssen uns nach irgendwelchen Schiris fragen lassen. Da werd ich gallig. Seit Monaten machen wir nur Aufräumarbeiten, statt nach vorne zu schauen“, fasste Franz Beckenbauer seine höchstkaiserliche Sicht der Dinge zusammen.

Überhaupt schien es, als seien es allein die Medien, die den fußballvernarrten Deutschen partout die WM-Vorfreude kaputt machen wollen: „Ich war empört, dass einige schon die Insolvenz von Borussia Dortmund herbeireden wollten, so etwas macht man nicht“, entrüstete sich MP Steinbrück – und maß sich kurz darauf im von André Heller gestalteten Globus als Elfmeterschütze mit quiekenden virtuellen Gummifiguren, die einer Werbung für Handy-Klingeltöne entlaufen schienen.

Nein nein, nur ein paar warme Worte von Innenminister Schily, man möge doch überlegen, ob die Börse der richtige Ort für einen Fußballverein sei, ansonsten Friede. „Ich kann mich zur Lage beim BVB nicht äußern, allein aus persönlicher Verbundenheit mit den handelnden Personen“, hackte auch Beckenbauer keinem Artgenossen ein Auge aus. Dafür, dass die Borussia nicht pleite geht und die WM auch in Dortmund ein Erfolg wird, werde die Politik schon sorgen, kündigte Steinbrück an – zwar nicht mit Steuergeld und auf dem „öffentlichen Markt“, dafür aber „diskret“ und als „Türöffner“.

Hilfe benötigt der BVB auch für den 4,6 Millionen Euro teueren WM-Ausbau des Westfalenstadions. „Das wird nicht scheitern“, versprach Steinbrück. „Die paar Märkerl werden wir noch auftreiben“, kaiserte der Franz. Um den Modus der Finanzierung zu erläutern, brauchte es allerdings noch einen Tag sowie die Unterstützung von Reiner Calmund. Auf einer von Sportminister Michael Vesper (Grüne) einberufenen Gute-Laune-Pressekonferenz im Düsseldorfer Landtag erklärte der Manager, dass die Einnahmen aus den sechs Dortmunder WM-Spielen nachträglich mit den Ausbaukosten verrechnet werden sollen.

Problem also fast gelöst, ebenso die leidige Frage nach öffentlichen Live-Übertragungen der WM-Spiele. Hier stehen nur noch Verhandlungen mit der FIFA über den Einsatz eigener Sponsoren dem Fußballgenuss im Weg. Weil das aber laut Vesper die „wichtigste bisher nicht geklärte Frage“ ist, das Land eine schöne „Deutsche Fußballroute NRW“ und vielleicht sogar die Brasilianer zu Gast bekommt, kann es um die WM also nicht so schlecht bestellt sein. Nur einen der Touch-Screen-Bildschirme im Globus sollte die Fußball-Familie noch rechtzeitig entfernen, bevor Franz Beckenbauer wieder gallig werden muss: In der Flimmerkiste wird das Thema „Fußball-Wetten“ behandelt.