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Archiv-Artikel

Skandal um ein Drehbuch

Eine Filmemacherin möchte Minderjährige die sexuelle Begegnung mit einem älteren Mann spielen lassen. Das auch von Hamburgs Filmförderung prämierte Drehbuch gaben Castingagenturen zunächst weiter. Jetzt wollen sie das Projekt stoppen

Die Regisseurin ist „empört über die Forderung nach Zensur, die im krassen Widerspruch zur Kunstfreiheit steht“

von KAIJA KUTTER

Eine Hamburgerin, deren Tochter in einer Darstelleragentur gelistet ist, hat in der vergangenen Woche ein Drehbuch zugemailt bekommen, in dem es zu sexuellen Handlungen zwischen einem 57-jährigen Mann und zwei 15 und 16 Jahre alten Mädchen kommt. Im Skript zu „Der Prinz“ schickt die Autorin und Regisseurin Petra Schröder zwei Teenager auf Italienreise, wo ein angeblicher Prinz sie in seine Wohnung lockt. Dort masturbiert der ältere Mann vor den Teenagern. Dabei sollen sie ihm zur Hand gehen sowie an seinen Brustwarzen saugen.

„Der Zuschauer soll um die kleinen unschuldigen Mädchen fürchten, in der Erwartung, dass der Prinz Übles mit den Mädchen vorhat“, schreibt die Autorin im Anhang. „Das sorgt für Spannung von Anfang an.“ Die Mutter, von der Kinderdarstelleragentur nur unbedenkliche Angebote gewohnt, gab das Buch zunächst ungelesen an ihre 14-jährige Tochter weiter. Erst nachdem die sie auf den Inhalt hingewiesen hatte, wandte die Frau sich entsetzt an die Medien.

„Wir erhalten 20 bis 30 Drehbücher pro Woche, die können wir nicht alle lesen“, sagt Christiane Dreikauss, die Leiterin der Hamburger Agentur „New Talent“, von der das Buch kam. Da Schröders Buch aber von der Hamburger Filmförderung – wie auch vom Kuratorium junger deutscher Film in Wiesbaden – unterstützt wird, habe sie sich „darauf verlassen, dass es in Ordnung ist“, sagt Dreikauss. Inzwischen aber sagt sie: „Das ist keine sensible Aufarbeitung des Themas Pädophilie, sondern ein Film, der Täter ermutigt.“ Die Autorin hätte dem Buch eine Synopse mit der Warnung: „Darf nicht von Minderjährigen gelesen werden“ beifügen müssen, sagt Dreikauss. „Das lernt man in jedem Filmstudium.“

So sieht das auch Kiera Bahl von der Berliner Casting-Agentur „Mittekind“, die das Drehbuch zu „Der Prinz“ ebenfalls ungelesen weitergegeben hatte. Auch sie erklärt, sich auf das Votum der Filmförderung als „eine Art Gütesiegel“ verlassen zu haben. Dann aber hätten sich Eltern bei ihr „beschwert“. Kurz darauf habe dann Regisseurin Petra Schröder nach einer in ihrer Kartei geführten Darstellerin gefragt, die erst 14 Jahre alt ist. „Ich habe der Regisseurin gesagt, die ist noch viel zu jung“, sagt Bahl. „Darauf entgegnete sie mir, das Mädchen würde vom Typ her so gut passen.“ Auf die Frage, ob die Mädchen alles machen müssten, was im Drehbuch steht, habe die Filmerin geantwortet: „Ja, natürlich müssen sie an den Brustwarzen saugen, wie soll ich das denn sonst machen. Mädchen in dem Alter sind nun mal neugierig und wollen wissen, wie es geht.“

Bahl und Dreikauss gehören dem kürzlich gegründeten Verband deutscher Nachwuchsagenturen (VDNA) an, der sich für Rechte von Kindern in Filmproduktionen stark macht. In seinem Namen fordern sie die Hamburger Filmförderung und das Wiesbadener Kuratorium auf, die insgesamt 50.000 Euro Fördergeld für „Der Prinz“ zu stoppen. „Wir seriösen Agenturen werden für das Buch keine Darsteller vermitteln“, sagt Dreikauss. Da es aber sein könne, dass dann „Kinder von der Straße dafür gecastet“ würden, möchte sie den Film am liebsten ganz verhindern.

Unterstützung bekommen die beiden Casting-Frauen von Brigit Theis, der Vorsitzenden der Berufsvereinigung medienpädagogischer Fachkräfte. Sie würde „den Auszug, den ich kenne, als pornografisch bezeichnen“. Diese Szene mit Minderjährigen zu drehen, wäre in ihren Augen „jugendgefährdend“. Theis ist Medienpädagogin in Nordrhein-Westfalen und prüft, ob Drehbücher für Minderjährige geeignet sind. Im Fall von „Der Prinz“ würde sie dies verneinen: „Die Frage ist: Gibt es überhaupt 14-, 17-jährige Mädchen, für die es gut wäre, dass sie bei so einer Produktion mitwirken“, sagt Theis. „Oder ist es in Wirklichkeit nur gut für die Regisseurin?“ Die meisten Kinder und Eltern könnten nicht übersehen, was es bedeutet, wenn solche Szenen ausgestrahlt werden. Der Freiheit der Kunst stehe hier das Recht des Kindes auf die eigene Unversehrtheit gegenüber.

Das sieht die Autorin ganz anders. „Ich bin empört über die Forderung nach Zensur, die im krassen Widerspruch zur Kunstfreiheit steht“, schreibt Petra Schröder in einer Stellungnahme. Ihr Film zeige eine „klassische Missbrauchssituation aus Sicht der Opfer, denen der Missbrauch zunächst nicht bewusst wird“. Gerade wegen dieser „sensiblen Thematik“ liege es ihr am Herzen, jede filmische Handlung nur in Absprache und mit Einverständnis der Darsteller und ihrer Eltern umzusetzen. „Ich wehre mich entschieden gegen den Vorwurf, dass es sich hier um einen pornografischen oder gar kinderpornografischen Film handelt“, so Schröder. Wer das behaupte, habe das filmische Konzept „entweder nicht gelesen oder nicht verstanden“. Im Falle der Aufrechterhaltung solcher Behauptungen schließe sie „rechtliche Schritte nicht aus“.

Eva Hubert, Geschäftsführerin der Hamburger Filmförderung, weist darauf hin, dass Schröder eine „sehr begabte“ Absolventin der Hamburger Kunsthochschule sei „und garantiert keine Regisseurin, bei der es in Richtung Pornografie geht“. Das Gremium habe sich über den Film „ausführlich unterhalten“ und sei davon ausgegangen, dass die Mädchenrollen mit Volljährigen besetzt würden. Hubert sagt, eine entsprechende Versicherung des Produzenten sei eingeholt. Für Christiane Dreikauss und Kiera Bahl noch keine Lösung: „Ich habe auch 18-Jährige in meiner Agentur“, sagt Bahl, „die würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie so etwas drehen müssten.“