Skandal-Comic: Hochprozentiges aus der Halbwelt
Art Spiegelman verschafft dem Skandalgedicht "Die wilde Party" aus den Roaring Twenties neue Leser. Leider werden Urheber und Nachdichter auf dem Titel nicht genannt.
Eigentlich ist diese Comicveröffentlichung ein Skandal, denn der Autorenname fehlt vorne auf dem Titel. Nur "Die wilde Party" und "Art Spiegelman", der Name dessen, der das Buch illustriert hat, sind abgedruckt.
Die Tatsache, dass der Autor Joseph Moncure March heute niemandem mehr etwas sagen würde, ist jedoch noch lange kein Grund, ihn nicht zu nennen. Auch nicht, dass er schon 1977 verstorben ist. Immerhin war er in den zwanziger Jahren einmal stellvertretender Chefredakteur des New Yorker, aber dann schmiss er mit 26 seinen Job hin, um Dichter zu werden.
"Die wilde Party" war sein erstes großes Gedicht, und, wie Art Spiegelman im Vorwort schreibt, seine Reime galten als "gewagt und damit unpublizierbar". Dennoch erschien Marchs Buch 1928, wenn auch nur in einer limitierten Auflage von 750 Exemplaren.
Das Werk landete in Boston auf dem Index und erregte landesweit die prüden Gemüter, denn in der "Wilden Party" ging es nicht ganz jugendfrei zu. March nutzte die Gelegenheit für ein weiteres Buch über einen "abgehalfterten schwarzen Boxer", mit dem er es auf die Bestsellerliste der New York Times schaffte.
Von da aus führte die Reise nach Hollywood, wo March als Drehbuchschreiber arbeitete. Art Spiegelman entdeckte das Buch "Die wilde Party" jedenfalls in einem Antiquariat wieder, wo er von der Zwanziger-Jahre-Typografie und von einem "hingepfuschten Frontispiz von Reginald Marsh" so angetan war, dass er wie ein "Trinker, der sich zu Flaschen und ihren Etiketten ebenso hingezogen fühlt wie zum hochprozentigen Inhalt", auch zu lesen anfing.
Das perfekte Gegenstück zum großen Gatsby
Und der Inhalt war tatsächlich hochprozentig, ein grandioses Langstreckengedicht aus der Halbwelt kleiner Krimineller und Lebedamen.
Als "perfektes Gegenstück" zu Fitzgeralds Roman "Der große Gatsby" wird "Die wilde Party" in der Verlagsankündigung angepriesen, aber während "Der große Gatsby" bereits seit Langem zum Kulturerbe Amerikas gehört (von dem in der letzten Zeit gleich drei Neuübersetzungen erschienen sind), geriet "Die wilde Party" schlicht in Vergessenheit.
Dabei hat March mehr Witz und erzählerische Verve, er schreibt lebhafter und lustiger als F. Scott Fitzgerald, aber in der damals vorherrschenden Unterscheidung zwischen E- und U-Literatur gehörte das Buch zur schlecht beleumundeten Sparte. Nur Außenseiter der Literatur wie William S. Burroughs merkten, dass sie da ein Kleinod in den Händen hielten.
"Die wilde Party" verleitete Burroughs sogar dazu, sich selber als Dichter zu versuchen. Marchs Buch spielt im gleichen anrüchigen Milieu wie Walter Serners "Die Tigerin". Und hätte Robert Gernhardt oder Kurt Tucholsky "Die Tigerin" in Gedichtform gebracht, dann wäre dabei "Die große Party" herausgekommen. Eine simple kleine Geschichte: "Queenie war blond, ohne Alter so eine: / Schmiss zweimal pro Tag beim Vaudeville die Beine." Sie ist selbstbewusst und weiß um ihre Wirkung auf Männer. Queenie lebt mit Burrs zusammen, der als Clown im gleichen Laden wie sie arbeitet: "Seine Komik hatte höllisch Stil, / Er brauchte nicht zu hampeln - Genügte schon sein Mienenspiel, / Und alles war am Trampeln."
Es war die Polente
Die beiden schmeißen eine Party, aber die gerät außer Kontrolle, sowohl in alkoholischer Hinsicht als auch in sexueller. Queenie lernt einen neuen Mann kennen. Es funkt und ratzfatz landen die beiden im Bett. "Nicht viel, und sie hätten im Taumel der Lust / Einander gefressen und von nichts was gewusst." Die Sache eskaliert, und was passiert? Und auch noch im ungünstigsten Moment? "Er stöhnte; er gähnte - / Da trat wer die Tür auf: Es war die Polente."
Mit seinen holzschnittartigen Illustrationen, die Art Spiegelman seit seinem Comic "Maus" - der KZ-Haft-Geschichte seines Vaters - weltberühmt gemacht haben, verschafft er womöglich auch der "Wilden Party" die Aufmerksamkeit, die das Buch verdient hat.
Ins Deutsche übertragen hat die Geschichte Uli Becker. Ein weiterer Skandal, dass auch Beckers Name auf dem Titel verschwiegen wird. Schließlich hat er mit seiner Nachdichtung ein ganz neues Werk erschaffen, ohne sich dabei zu weit vom Original zu entfernen, eine Aufgabe, die ihm auf exzellente Weise gelungen ist.
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