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Sitzt US-Präsident Bush auf einer Bombe?

■ Neue Indizien sprechen dafür, daß der zwischen USA und Iran ausgehandelte Deal Waffen gegen Geiseln ein von langer Hand vorbereitetes Geschäft war, das letztlich zum Wahlsieg Reagans führte / „Die Mitternachtsregierung“ - eine spannende Reportage über die Macht der Geheimdienste

Offenbar gibt es Skandale, die sich in solchen Dimensionen bewegen, daß man sie besser schnell wieder vergißt. Ein bundesdeutsches Beispiel dafür ist der Tod der vier RAF -Gefangenen in Stammheim. Die Frage, war es Mord oder Selbstmord, wurde nie wirklich geklärt - konnte, nach allem, was man weiß, auch deshalb nicht geklärt werden, weil die bundesdeutsche Gesellschaft, mit wenigen Ausnahmen, es in Wirklichkeit auch gar nicht wissen wollte. Und hätte sich herausgestellt, daß es tatsächlich Mord war, wäre ein Rücktritt der damaligen Regierung kaum zu vermeiden gewesen

-ein Rücktritt, der nicht einmal der damaligen konservativen Opposition gepaßt hätte.

Ein vergleichbares Phänomen zeigt sich nun in den USA. Seit Jahren hält sich in einschlägigen Kreisen, hinter den Kulissen der öffentlichen Polit-Show, hartnäckig ein Gerücht, dessen Verifizierung Präsident Bush den Kopf kosten könnte: Spätestens seit im November 1986, aufgrund iranischer Indiskretion, bekannt wurde, daß die USA ihrem angeblichen Erzfeind Iran Waffen lieferten, um dadurch im Libanon festgehaltene Geiseln freizukaufen, tauchen immer wieder Indizien dafür auf, daß der Deal im Sommer 1986 nicht der Beginn, sondern das Ende eines bereits seit dem Sommer 1980 andauernden verdeckten Geschäfts war. Und so, wie es 1986 nicht nur darum ging, Geiseln mit Waffen freizukaufen, sondern gleichzeitig auch darum, mit den daraus erzielten Gewinnen illegal die nicaraguanische Contra zu finanzieren, soll es auch im Herbst 1980 keineswegs nur um den Freikauf von Geiseln gegangen sein.

Zum notwendigen Vorverständnis gehört ein kurzer Rückblick auf das Jahr 1980. Im November fanden die amerikanischen Präsidentschaftswahlen statt. Herausforderer des amtierenden ersten Mannes Jimmy Carter waren Ronald Reagan und sein Kandidat für die Vizepräsidentschaft, Georg Bush. Die Reagan -Kampagne hatte ein zentrales Thema: die Wiederherstellung der nationalen Größe der USA, die Jimmi Carter angeblich durch eine zu „weiche Politik“ verspielt hätte. Der besondere Stachel im Fleisch der Weltmacht ist Teheran, die Demütigung der USA durch den Sturz des Schahs und vor allem, daß Chomeni es wagte, seit dem November 1979 durch seine Revolutionswächter die Botschaft der USA in Teheran besetzt zu halten. Besetzt zu halten mit 68 Botschaftsangehörigen als Geiseln der Mullahs gegen die USA.

Eines jedenfalls war im Sommer 1980 klar: gelingt es Carter vor den Wahlen im November, die Geiseln freizubekommen, heißt der neue Präsident wie der alte. Gelingt es ihm nicht, gewinnt Reagan. Vor diesem Hintergrund agierten Jimmy Carter und eben auch Ronald Reagan und seine Wahlkampfmannschaft.

An diesem Punkt beginnt der - wenn die Gerüchte denn stimmen - in der Tat ungeheuerliche Skandal. Danach soll eine vom damaligen Wahlkampfleiter Bush autorisierte Gruppe um den späteren CIA-Chef William Chasy mit Abgesandten Chomeinis folgenden Deal ausgehandelt haben: die Iraner halten die Geiseln aus der Botschaft bis nach der Wahl fest

-dafür werden sie ab der Amtseinführung Ronald Reagans im Januar 1981 mit den von ihnen gewünschten Waffen versorgt.

Immer wieder tauchten in der amerikanischen Presse im Laufe der letzten Jahre Hinweise auf dieses Geschäft auf, denen letztlich jedoch nicht nachgegangen wurde. Weder die 'New York Times‘ noch die 'Washington Post‘ nahmen sich dieses Themas tatsächlich an, um der Sache auf den Grund zu gehen. Im Falle eines Erfolges wäre klar, was passiert. Die USA hätten ein neues „Watergate“, Bush käme in äußerste Bedrängnis, müßte möglichweise zurücktreten. Sein Nachfolger hieße Dan Quayle, Bushs Geheimwaffe gegen ein Impeachment, wie bereits bei dessen Nominierung gemunkelt wurde.

Ein deutscher Journalist hat nun versucht, nachzuholen, was die investigativ-american-press bislang lieber gelassen hat. Jürgen Roth, der sich in der Vergangenheit bereits in mehreren Publikationen mit internationalem Waffenhandel und der Rolle, die Geheimdienste dabei spielen, auseinandergesetzt hat, hat in seinem jetzt erschienenen Buch Die Mitternachtsregierung: Reportage über die Macht der Geheimdienste alles zusammengetragen, was den Verdacht des Wahlbetrugs durch die Reagan-Mannschaft 1980 untermauert. Fast zwei Jahre hat er direkt und indirekt Beteiligte aufgespürt, hat versucht, Leute, die in aller Regel lieber den Mund halten, zum Reden zu bringen, und Berge von Material gesichtet.

Am Ende bleibt ein doppeltes Erstaunen: einmal, daß die Indizien, die dafür sprechen, daß der Deal tatsächlich gelaufen ist, erstaunlich dicht sind, zum anderen, daß sich in den USA offenbar niemand dafür interessiert.

Man muß sich die Dimension der Geschichte noch einmal richtig vor Augen führen, um zu verstehen, was in diesem Sommer 1980 passierte: Seit Monaten verhandelt die Regierung Carter über diverse Kanäle mit Teheran, um die Freilassung der Geiseln zu erreichen. Der Versuch einer militärischen Befreiungsaktion war fehlgeschlagen. Carter war bereit, Konzessionen zu machen, aber er wollte den Mullahs nicht das militärische Gerät liefern, mit denen die USA zuvor den Schah aufgerüstet hatten und auf dem die Ausrüstung der gesamten iranischen Armee basierte. Die Situation verschärfte sich, als im September 1980 der Irak im Süden des Iran einmarschierte, der Golfkrieg offiziell begann.

Roth hat Aussagen von Waffenhändlern gesammelt, die nun bezeugen, daß der Reagan-Truppe Skrupel in Bezug auf Waffenlieferungen völlig fremd waren. Danach haben im Oktober 1980 in zwei Hotels in Paris die entscheidenden Gespräche zwischen der Reagan-Mannschaft und den Iranern stattgefunden. Mit eindeutigem Ergebnis: Die Geiseln kamen genau am Tage der Amtseinführung Ronald Reagans frei, und der Waffennachschub für Iran begann im Januar 1981. Daß Amerikaner und Europäer mindestens in demselben Umfang auch den Irak mit Waffen versorgten, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das widersprach jedenfalls nicht derart eklatant der offiziellen Rhethorik.

Ausführende Organe bei all diesen Geschäften waren Geheimdienstleute der verschiedensten Couleurs. Insbesondere die CIA hatte ein massives Interesse daran, den ungeliebten Präsidenten Carter zurück auf die Erdnußfarm zu schicken, um endlich wieder Geld und freie Hand zu bekommen.

Über beides konnte sie sich weder unter Reagan noch unter dem derzeitigen Präsidenten Bush beschweren. Immerhin war der Wahlkampfchef von 1980, Georg Bush, wenige Jahre zuvor selbst CIA-Chef (bis Carter ihn entließ) und erweist sich heute als Präsident gegenüber der Agency als außerordentlich zuvorkommend. Bleibt zum Schluß die Frage, wer die ganze Geschichte 1980 eigentlich gesteuert hat: die Leute vor oder hinter den Kulissen?

Jürgen Gottschlich

Jürgen Roth: Die Mitternachtsregierung: Eine Reportage über die Macht der Geheimdienste. Erschienen bei Rasch und Röhring, Hamburg, 1990

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