Sippenhaft in Bremen: Sozi auf Abwegen
Von der Forderung eines Bremer SPD-Ortsamtsleiters, einen jungen Straftäter mitsamt seinen Eltern abzuschieben, distanzieren sich die Genossen nur zögerlich.
BREMEN taz | Dass die Forderung nach Sippenhaft nicht zum Programm der SPD gehört, müssen dieser Tage SPD-GenossInnen in Bremen beteuern. Denn der Ortsamtsleiter des Bremer Stadtteils Blumenthal, Peter Nowack, spukt mit der Forderung durch Lokalzeitungen, einen 15-Jährigen „Intensivtäter“ mitsamt seinen Eltern abschieben zu wollen. Nowack ist Sozialdemokrat, auf die Idee mit der Abschiebung kommt er, weil die Familie des Jungen nicht aus der EU stammt. Auf rechten Webseiten bekommt er dafür ebenso Beifall wie von manchem Sozialdemokraten.
Die Äußerungen des Ortsamtsleiters Nowack stehen im Zusammenhang mit einem Wohnkomplex in der George-Albrecht-Straße in Blumenthal. Die gilt als Gefahrenort, als ein „sozialer Brennpunkt“ mit viel Kriminalität. Viele MigrantInnen leben dort, viele Roma und Albaner, ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Die Wohnungen würden von der Immobilienfirma vernachlässigt, die Menschen dort ghettoisiert, kritisieren Flüchtlingsaktivisten.
Im Juli nun kam es zu einer Gewalttat gegen eine 89-jährige Anwohnerin. Ein 15-jähriger, mehrfach verurteilter Roma wird verdächtigt, die alte Frau brutal verletzt und überfallen zu haben, er sitzt in Untersuchungshaft. Im Oktober später verhinderte die Polizei nur knapp eine Massenschlägerei.
Anlass für Ortsamtsleiter Nowack, härteres Durchgreifen zu fordern. Er wolle einen „Trouble Shooter“, der bei „Zuckerbrot und Peitsche“ auch einmal sage, dass „das Zuckerbrot nun alle“ sei, wird er von einer Lokalzeitung zitiert. Und er forderte, den 15-Jährigen zu verurteilen und zusammen mit seinen Eltern abzuschieben.
Vergangenen Mittwoch, ein paar Tage nach einem taz-Bericht, folgte der große Aufschlag in der Bild-Zeitung: „Jetzt redet der erste Ortsamtsleiter Klartext“, titelte das Blatt. Dafür, dass Nowack gewagt habe, die „Ausländerkriminalität“ anzusprechen, wird er auf rechten Webseiten gefeiert.
Auf seiner Facebook-Seite schreibt Nowack, er sei falsch zitiert worden: „Den Roma oder deren Familie“ habe er nie die Schuld gegeben. „Ich habe auch niemals die Abschiebung einer Romafamilie gefordert.“
Gegenüber der taz hatte er noch betont, die Eltern sogar „sofort“ abschieben zu wollen, weil diese schließlich in der Erziehung des Jungen versagt hätten. Dass es Roma sind, muss er in Blumenthal nicht dazusagen.
Die Linken-Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt ist fassungslos ob dieser rechtswidrigen Forderung eines Bremer Beamten. „Die Familie hat auch andere Kinder, die überhaupt nicht auffällig sind“, so Vogt. Sie spricht von „öffentlicher Hetze“.
Und die Bremer SPD? Nur ungern wollen sie zu Nowack etwas sagen. „Die Menschen vor Ort dürfen nicht im Stich gelassen werden“, heißt es vom SPD-Fraktionssprecher André Städler. „Populistische Parolen wie die des Ortsamtsleiters helfen aber niemandem. Im Gegenteil.“ Der sozialpolitische Sprecher der Bürgerschaftsfraktion, Klaus Möhle, sicherte Peter Nowack indes auf dessen Facebook-Seite seine Unterstützung zu, auch wenn sich Nowack „auf dünnem Eis“ bewege. Abschiebung zu fordern sei ein Fehler, sagt Möhle zur taz, aber: „Es gibt auch einen Reflex, ’Rassist‘ zu schreien, wenn man sagt, dass jemand was macht, was nicht in Ordnung ist.“ Ein Skandal sei, dass ein 15-Jähriger eine Oma halbtot schlage.
Klarer werden die Bremer Grünen. „Wir lehnen die Forderung nach Sippenhaft entschieden ab“, sagt Björn Fecker, der Innenpolitische Sprecher der Grünen. „Es wird nicht unkommentiert stehen bleiben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind