Sinti und Roma: Bürger zweiter Klasse
Zwangsräumungen, Zwangssterilisierungen und Brandanschläge: Amnesty International machte auf die Diskriminierung der Roma in Europa aufmerksam. Größte Sorge: Ungarn.
"Es ist höchste Zeit, dass die Roma zu Staatsbürgern erster Klasse werden", sagt Heinz Patzelt. Der Generalsekretär von Amnesty International in Österreich eröffnete anlässlich der Präsentation des neuen Jahresberichts eine internationale Kampagne für die Rechte der Roma.
Lebten sie alle in einem Land, würden sie etwa den zehntgrößten Staat der Europäischen Union bilden. Die Roma sind die europaweit größte Minderheit, verteilt auf fast alle Staaten der EU. Dennoch, so Patzelt, "werden sie weiterhin als Bürger zweiter Klasse behandelt". In Mailand wurden vergangenes Jahr im März bei der Räumung eines Lagers 150 Roma ihrer Unterkunft beraubt. "Nur vier Familien mit rund 30 Personen wurde eine angemessene Alternativunterkunft angeboten", heißt es im AI-Jahresbericht 2009. Ähnliches wiederholte sich im November in Rom. In Tschechien und der Slowakei werden Roma-Kinder routinemäßig in Sonderschulen gesteckt, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Praxis schon 2007 gerügt hatte. Ein Bericht des Roma-Bildungsfonds Roma Education Fund kritisierte, dass in der Slowakei fast 60 Prozent der Roma-Kinder Sonderschulen besuchen. Sie werden, so der Bericht, ohne jeden Einstufungstest zugewiesen.
In der Tschechischen Republik ist die Zwangssterilisierung von Roma-Frauen noch nicht aufgearbeitet. Sie war unter dem kommunistischen Regime üblich. Der jüngste Fall soll sich laut Amnesty aber erst 2007 ereignet haben.
Besonders brutal ging es in Rumänien in der Vergangenheit zu. 1991 hatte eine Menschenmenge unter Beteiligung des Priester und des Bürgermeisters in der Ortschaft Bolintin Deal die Häuser von 24 Roma niedergebrannt. Einen Monat lang mussten sich die Obdachlosen in den Wäldern verstecken. Erst vergangenes Jahr und nach einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verpflichtete sich die rumänische Regierung, eine Entschädigung in Höhe von 565.000 Euro zu zahlen. In der Stadt Miercurea Ciuc leben etwa 75 Roma fünf Jahre nach einer rechtswidrigen Zwangsräumung noch immer in Metallcontainern ohne ausreichende Belüftung.
Die größte Sorge der Menschenrechtsaktivisten von Amnesty International gilt aber der größten Minderheit Ungarns, seit dort die rechtsextreme Jobbik-Partei ins Parlament eingezogen ist. Deren paramilitärischer Arm, die Ungarische Garde, rechtfertigt ihre Existenz mit der "Zigeunerkriminalität". Seit sie vergangenes Jahr gerichtlich verboten wurde, marschiert sie zwar nicht mehr provokant durch Roma-Siedlungen, doch legen ihre Mitglieder immer noch ungestraft ihre SS-artigen Uniformen an.
Amnesty International will jetzt in einer mehrjährigen Kampagne durchsetzen, dass jede Art von Diskriminierung von Roma-Minderheiten nicht nur gesetzlich verboten, sondern auch in der Praxis abgeschafft wird. Namentlich das Recht auf Bildung und das Recht auf Wohnung seien für Roma momentan nicht gewährleistet.
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