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Singer-Thesen

■ betr.: "Wir müssen auch Goebbels Ethik diskutieren dürfen", taz vom 18.5.90

Betr.: „Wir müssen auch Goebbels Ethik diskutieren dürfen“, taz vom 18.5.90

Jahrelang habe ich mir an deutschen Universitäten angehört, daß die wertfreie bürgerliche Ökonomie völlig wertfrei unsere Welt zerstört und sich jetzt sogar die ganze Daimler -freie Welt einverleibt, und ich habe diese herrschende Lehrmeinung für den tumben Irrglauben einiger unverbesserlicher professoraler Ideologen gehalten; da muß ich nun erfahren, daß im freien Berlin einige StudentInnen tatsächlich die Idee eingetrichtert bekommen, es gebe etwas wie einen „wertfreien philosophischen Dialog“. Wer lehrt diesen Unsinn? Wer bohrt diese Denktechnologie in die Gehirne von StudentInnen? Schickt ihn nach Australien!

Natürlich darf bei solcher Art studentischer Ignoranz gegenüber Krüppelinis nicht die Bitte fehlen, Singer von vorne zu lesen. Das bedeutet, daß man sich die Grundalgen der Singer-Ethik anschaut: der Utilitarismus, also die ideologische Grundlage unserer kapitalistisch -marktwirtschaftlichen Ideologie. Und wenn man Schmerzen von Robbenbabys wertfrei gegen die Schmerzen von behinderten Föten im Sechszellenstadium abwägt, dann ist natürlich jedem klar, daß der Mensch nicht mehr vom Menschen abstammt, sondern aus der Retorte des Labors kommt, das direkt neben der Studierstube des wertfreien Nutzen-Ethikers liegt. Aber so tief von vorne darf man wohl die wertfreie Ethik vom Nutzen des Menschen, des Schmerzes und des Tötens a la Singer in Berliner Philosophie-Stuben nicht lesen. Zur Norm werden die Kenntnisse von Menschen, die schon das Etikett des Philosophen tragen. Mir graust's!

Christian Sternberg, Berlin

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