Sind Soldaten Mörder?

Fröhliche Weihnachten - oder: Wie Nazis Tucholsky verfolgen dürfen / 1932 standen Tucholsky und Ossietzky wegen des Satzes „Soldaten sind Mörder“ vor Gericht und wurden freigesprochen / 57 Jahre später soll Gerhard Zwerenz wegen dieses Satzes, den er als Buchtitel wählte, erneut der Prozeß gemacht werden  ■  Von Gerhard Zwerenz

Tucholsky bejahte die Frage, ob Soldaten Mörder seien, mehrfach, und wenn diese Wahrheit heute verboten werden sollte, bekommt Rowohlt alle Druckmaschinen voll zu tun, seinen toten Autor zu zensieren und neu zu drucken. Was für schöne Probleme da ihr schauriges deutsches Medusenhaupt erheben: Muß Tucholsky dann auch zensiert übersetzt werden? Stellen wir - sind wegen der EG die Grenzwächter abgezogen an den Grenzen Zensursoldaten auf?

Und was geschieht mit dem, der Tucholsky unzensiert liest, gar zitiert? Ich habe ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung am Hals, weil ich Tucholskys Satz als Buchtitel nahm. Worin die Volksverhetzung eigentlich liegt, wird nicht so recht klar. Die Behörde nimmt am Tucholsky -Satz Anstoß, zitiert ihn manchmal falsch, berichtigt sich und fällt ins Falsche zurück. Ich weiß nicht, ist das juristische Taktik oder Unvermögen oder beides? Der Staatsanwalt soll, wird mir berichtet, gestaunt haben, als er erfuhr, der Prozeß wurde schon 1932 gegen Ossietzky (und Tucholsky) geführt. Von Journalisten darauf angesprochen, wegen des damaligen Freispruchs, soll der heutige Ankläger geantwortet haben: Die Rechtsprechung von Weimar 1932 ist das eine, die von Bonn 1988 das andere. Ich frage: Und die Rechtsprechung von 1933-1945?

Am 10.Mai 1945 wurden die Schriften Tucholskys und Ossietzkys mit ins Feuer geworfen. Soll das heute mit manchen ihrer Sätze geschehen? Hat unsere Rechtsprechung die Funktion des Feuers zu übernehmen?

Die grassierende bundesweite Aufregung um den Satz „Soldaten sind Mörder“ beweist nur die horrende Unkenntnis der Weltliteratur in den aufgeregten Kreisen. Man fällt aus allen Wolken und ruft nach dem Kadi. Aber: „Durch das Buch, nicht durch das Schwert wird die Menschheit die Lüge und Ungerechtigkeit besiegen... (Emile Zola). Oder: „Nicht der Pazifist ist ein Schwächling; der Bellizist, der Kriegsgläubige ist es!“ So Axel Eggebrecht. Und Laetantius im vierten Jahrhundert: „Der Mensch ist heilig, und es bleibt immer ein Verbrechen, ihm das Leben zu nehmen.“ Endlich, noch weiter zurück: „Du sollst nicht töten!“ 2.Mose 20,13.

Victor Hugo: „Wenn Töten Sünde ist, so kann Töten en masse doch unmöglich ein mildernder Umstand sein...“ Friedrich Schiller: „Es ist der Krieg ein roh, gewaltsam Handwerk.“ Guy de Maupassant: „Der Krieg - sich schlagen! Erwürgen, niedermetzeln (...) und wir besitzen heute (...) Schulen, wo man lernt zu töten - auf recht große Entfernung zu töten, eine recht große Anzahl auf einmal...“

Soweit die abstrakten Kriegsklagen, mit denen sich dicke Bücher füllen ließen. Doch der Krieg wird von Soldaten geführt. Ist Krieg Mord, sind die, die ihn führen, Mörder. Gerhart Hauptmann: „Es ist verkehrt, den Mord im Frieden zu bestrafen und den Mord im Krieg zu belohnen. Es ist verkehrt, den Henker zu verachten und selbst, wie es Soldaten tun, mit einem Menschenabschlachtungsinstrument (...) stolz herumzulaufen. Verkehrt ist es, die Religion Christi (...) als Staatsreligion zu haben und dabei ganze Völker zu vollendeten Menschenschlächtern heranzubilden.“ Homer in der Odyssee: „Wir wollen unserer Söhne und unserer Brüder blutige Ermordungen vergessen...“ Oskar Kokoschka, Victor Hugos Rede auf Voltaire zitierend: „Die Völker beginnen zu verstehen, daß ein Mörder ein Mörder ist und daß vergossenes Blut vergossenes Blut ist.“ Heinrich Heine: „Wenn wir es soweit bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu Haß und Krieg verhetzen, das große Völkerbündnis, die Heilige Allianz der Nationen, kommt zustande, wir brauchen aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern...“

Soweit ein, allerdings stark verkürzter, Überblick zur allgemeinen Beurteilung des Kriegs durch Denker und Dichter, und die logische Schlußfolgerung, daß, wenn der Krieg Mord sei, derjenige, der Krieg führt, der Soldat, kein Unschuldslamm sein könne. Soviel zur Vorgeschichte des Wortes, das Tucholsky in der „Weltbühne“ vom 4.August 1931 auf die exemplarische Kurzformel brachte:

„Sagte ich Mord?

Natürlich, Mord

Soldaten sind Mörder.“ Die Weimarer Justiz, zu ihrer Ehre sei's gesagt, sprach das Wort und seinen Autor Kurt Tucholsky wie Carl von Ossietzky als Verantwortlichen der „Weltbühne“ in zwei Instanzen frei, gegen den Druck und erklärten Willen von Militärs und Politikern. 56 Jahre später geht ein Verfahren gegen den Arzt Dr. Peter Augst, der Tucholskys Satz variiert hat in „Alle Soldaten sind potentielle Mörder“ in die dritte Instanz.

Der Mordvorwurf wird seltsamerweise von den Betroffenen meist in strafrechtlicher Hinsicht verstanden, obwohl er, wie jeder weiß, eine moralisch-sittliche Stoßrichtung hat. So blocken die Militärs ab, indem sie aus dem jeweils geltenden Mordparagraphen des Strafrechts zitieren und versichern, nichts davon treffe auf sie zu. Das allerdings ist nicht schlüssig. Besehen wir die von den verschiedenen Staaten recht unterschiedlich gefaßten Mordparagraphen auf ihren gemeinsamen Nenner hin, so bleiben etwa Vorsatz und Täuschung des Opfers, Triebbefriedigung, Grausamkeit, Bereicherung als Kerntatbestand. Zweifellos treffen diese Merkmale auf die Kriegsüberfälle Hitlers zu, so daß selbst im engeren, strengeren Sinne die Straftatbestände von Mord, Massenmord, Völkermord gegeben sind. Der Einwand, daß die Soldaten nichts wüßten, sich also in Unkenntnis der Verbrechen befanden, an denen sie teilnahmen, mag für eine Strafzumessung bedeutsam sein, am Tatbestand selbst ändert das nichts. Hier gilt: Mitgegangen - mitgehangen. Jedenfalls galt das anfangs bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen, als die Hauptmittäter schuldig gesprochen und gehängt worden sind. Wenn bald darauf politische Gründe dazu führten, daß die Strafen milder oder ganz ausfielen oder erlassen wurden, hat das mit dem Strafrecht nichts zu tun.

Die Versuche, das Tucholsky-Wort, diese Prophetie, weil geschärfte Analyse, im nachhinein noch zu verbieten, sind eine makabre Beleidigung aller Opfer des Zweiten Weltkriegs, denen die Täter fortgenommen werden sollten, und sei es durch deren Selbstfreispruch.

Auf meinen Lesereisen 1988 durch die Republik erklärten mir immer wieder Buchhändler, sie könnten mein Buch „Soldaten sind Mörder“ nicht ins Schaufenster stellen, weil ihnen gedroht würde, die Scheiben einzuwerfen. Der Warnsatz Tucholsky stammt aus dem Jahre 1931, und 57 Jahre später ist er immer noch derart unerträglich für die deutsche Seele, daß er Gewalt provoziert. Tucholskys Stimme drang zu den Deutschen damals nicht durch. Sie wurden Soldaten, opferten 50 Millionen Menschen ihrem militärischen Nationalwahn und wollen auch heute noch nicht die Stimme aus dem Grab im schwedischen Mariefred hören. Was tun? Sie gewöhnten sich daran, Menschen für unmenschliche Ziele zu opfern und zugleich wie Schweine zu schlachten. Alte Herren sehe ich in den aufgestellten Stuhlreihen vor mir meinen Worten lauschen, und hernach erklären sie ungerührt, sie fühlten sich nicht schuldig. Sechs Millionen tote Juden? Sechs Millionen tote Polen? 20, neueren Ergebnissen zufolge 27 Millionen tote Bürger der Sowjetunion? Sie heben gelangweilt die Schultern und sprechen ungeniert vom Unrecht, das ihnen zugefügt wurde, von ihrer Ehrenhaftigkeit, Soldatenehre, und am Volkstrauertag salutieren sie vor den immer gleichen Steinen. Trauer ohne Gedächtnis, Gehirne ohne Vernunft, Herzen aus demselben Stein wie die Denkmale.

Bewaffnete Affen

Mir kommt der Verdacht, sie schwelgten an Stammtischen und in der Familienrunde so oft und lange in ihren Heldentaten, daß sie nun ihren wahren Namen nicht ertragen können. Ihr Krieg darf nicht auf seinen wahren blutigen Begriff gebracht werden, denn dann verlören sie den falschen Stolz, der sie einzig noch zusammenhält. Diese fatalen Gespenster aus verklärender Unwissenheit und verboster Ahumanität verargen der Welt, daß sie so gerecht war, sie zu schlagen. Sie hatten Sieger sein wollen und kehrten als abgerissene Verlierer heim, wo sie sich neue Existenzen und Verlogenheitsgebäude errichteten. Derart unwahr möchten sie auch sterben. Ganz wie sie gelebt haben. Ich sehe die Greise, denen ich ein anderes Geschick wünschte, vor mir sitzen, und in ihren Denkmalsgesichtern zuckt kein Nerv. Sie sind die wahrhaft Toten schon in ihrem vergeblichen Leben, die Söhne der ersten Weltkriegsgeneration und die wirklichen Väter der Bundeswehr. Ihr militärischer Wahn ist die Achse des 20.Jahrhunderts. Und wenn sie gestorben sind, so erstehen sie uns als kindliche, kindische Greise neu aus den Gebäranstalten der Nation - wenn nicht eine Generation von Frauen heraufkommt, die sich weigert, bewaffnete Affen zur Welt zu bringen.

Als Peter Augst wegen seiner Tucholsky-Variante in zweiter Instanz freigesprochen wurde, protestierten Außenminister Genscher und Bundespräsident von Weizsäcker dagegen. Ich sympathisiere mit beiden Politikern, nicht mit ihrer vorschnellen Justizschelte. Jene Generale, die 1932 Ossietzkys Verurteilung erreichen wollten, waren kein Jahrzehnt später Generale der größten Massenmordarmeen aller Zeiten. Außenminister Genscher sollte, als weißer Jahrgang, dazu lieber schweigen und statt dessen Außenpolitik machen, wovon er was versteht. Der Bundespräsident aber hätte sich fragen sollen, ob er der richtige Mann sei für Justizschelte. Ich spiele nicht auf seinen Vater, den rechtskräftig verurteilten Kriegsverbrecher an, sondern auf den fatalen Umstand, daß der Bundespräsident als junger Wehrmachtsoffizier an der Einschließung Leningrads beteiligt war, was immerhin fast eine Million Zivilisten das Leben kostete. Mit soviel Vergangenheit im Gepäck empfiehlt es sich, Tucholskys Mahnwort demütig umzuformulieren und die Frage: War ich, als Soldat, Mörder?

Hätten wir, die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen, zur Zeit auf Tucholsky gehört, statt gehorsam und pflichtgetreu am Massenmord an 50 Millionen Menschen teilzunehmen, erübrigte sich der heutige Konflikt.

Die Abwehr gegen das Tucholsky-Wort folgt aus verdrängter Schuld. Mein Buch ist, weil es das offenbart, zum bundesweiten Ärgernis geworden. Wie 1932 reagieren die Großen unwillig und die Kleinen heftig bis verlegen. In Groß Gerau durfte ich nicht im Alten Rathaus lesen. In Fürth im Odenwald wurde den Veranstaltern nach meiner Lesung die weitere Benutzung des Rathauses untersagt. An anderen Orten gibt's Drohungen, Telefonanrufe, aufgeregte Leserbriefe vorher und danach. Die einen pfeifen auf Tucholsky, die anderen offenbaren verblüfft ihr Unwissenheit. Alles ganz so wie im Dritten Reich, für unsere Patentdemokraten sind die verbrannten Dichter nichts als Asche, aus der sie nicht ins Leben zurückgeholt wurden.

Und Helmut Kohl, der - wie er im Fernsehen verkündet Tucholsky-Leser? Las er um die heißen Stellen herum? Als ich neulich in Münster las, gab's am selben Abend Kuli mit einer Tucholsky-Lesung. Ich bot eine Wette an, daß er das Tucholsky-Wort, das unser Land bewegt, nicht vortragen würde. Hat er auch nicht. Wen wundert das. Deutschland über alles. Einen Tucho zur Unterhaltung lassen sie gelten. Einen zur kritischen Selbsterforschung verfolgen sie wie eh und je.

Das „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel“ nahm bis jetzt nachhaltig keine Kenntnis von der neuen Tucholsky -Hatz. Was Wunder, es steht besonders den Typen offen, gegen die schon Tucholsky vergeblich anschrieb.

Opportunismus der 80er gleicht dem der 30er Jahre

Ein Kollege, der über meine Erlebnisse in der 'feder‘ schrieb, dem Blatt der Journalisten und Schriftsteller in der IG Druck und Papier, wollte seine Glosse auch im 'Vorwärts‘ drucken lassen. Vergeblich. Die Genossen führen bei jeder Gelegenheit Tucholsky im Munde, nur wenn's darauf ankommt, bleiben sie stumm. Über die Gründe ist beim Meister nachzulesen.

In den SPD-Ortsvereinen ist das meist anders. Nur die Honoratioren haben Schiß im Gehirn. Die einfachen Sozis wissen, wie die meisten Grünen, was gemeint ist. Bleiben die linken Revoluzzer, die so maultapfer für revolutionäre Waffengewalt kämpfen und meinen, wir diffamierten ihre Revolutionssoldaten der „Dritten Welt“. Bei der Bundeswehr gab's ähnliche Differenzen. Brigadegeneral Dr.Rasch knurrte im Bayerischen Fernsehen was von der Strafbarkeit, Oberst Francke hingegen, von der Inneren Führung zu einer SWF -Diskussion geschickt, verließ sich aufs Argumentieren. Inzwischen denken jüngere Offiziere genauer und schärfer über die Implikationen ihres Gewerbes nach.

Erstaunlich auch die fairen Besprechungen in der regionalen Presse. Die Artikel über meine Lesungen und Diskussionen waren durchweg positiv. Unter fast 200 Reaktionen auf meine rund 80 Auftritte gab's nur zwei Verrisse, einen bösartigen in der 'Stuttgarter Zeitung‘, deren Feuilleton Stahlhelm trägt, einen halben in der 'Zeit‘ im vorbeugenden Gehorsam vor dem in allen deutschen Staaten wehrüberwilligen Schmidt Helmut.

Beim Funk dieselbe Schere im Kopfe. Couragiert die Abteilungen für Unterhaltung und Kritik. Angstvoll verschwiemelt die zuständigen Redaktionen für Literatur, Kultur, Politik. Der Opportunismus der achtziger Jahre gleicht dem der dreißiger Jahre. Damals ging es um den Kopf, heute um den Job, den zu halten viele Kopf und Herz verleugnen, noch bevor der Hahn auch nur einmal kräht.

Endlich das Fernsehen. Bayern Drei riskierte immerhin eine Mitternachtsdiskussion mit einem General, einem Jugendoffizier, einem MdB-Reserveoffizier gegen einen Kriegsdienstverweigerer, Margarete Mitscherlich und mich. Im SFB wagten sie, das Buch fürs dritte Nordkettenprogramm sogar vorzuzeigen, anders als im ZDF, wo ich zwar was sagen durfte, nur blieben Buch und Titel ausgespart.

Deutschland, deine Medien-Intellektuellen sind Spitze. Unter Hitler wären damit ganze Werner-Höfer-Propaganda -Regimenter aufgestellt worden. Heute knien sie freiwillig vor ihren Kameras und Mikros und haben die Flatter.

Der Marburger Standortälteste, Oberstleutnant Leyherr, kriminalisiert die Deserteure des Zweiten Weltkriegs wie im Dritten Reich. Das ist keine Volksverhetzung. Im 'Rheinischen Merkur‘ wird der Atomkrieg gerechtfertigt. Das ist keine Volksverhetzung. Minister Scholz rechtfertigt Nuklearwaffen „zum Zwecke der Kriegsverhinderung oder Kriegsbeendigung“, welch letztes Wort beweist, daß sie einen Atomkrieg führen und die Sowjets damit zur Aufgabe zu zwingen gedenken. Das ist keine Volksverhetzung. Volksverhetzung ist hingegen, wenn Rüstungsgegner den Waffenwahn beim wahren Namen nennen.

Wenn stimmt, was ich von mehreren Seiten höre, daß das Ermittlungsverfahren von alten Nazis durch gezielte Anzeigen in Gang gebracht wurde, so rundet sich nur das Bild ab. Damit die Justiz weiß, was sie tut, wem sie folgt und wen sie verfolgt, sei aus der Fülle der einschlägigen Tucholsky -Zitate noch ein weiteres hier angeführt:

„Tatsächlich wird der Pazifismus von den Mordstaaten sinnlos überschätzt; wäre er halb so gefährlich und wirkungsvoll, wie seine Bekämpfer glauben, dürften wir stolz sein. Wo stehen wir? (...) Was aber fast völlig fehlt, das ist die pazifistische Propaganda im Alltag (...) der Pazifismus als Selbstverständlichkeit...“ Und Tucholsky lehrt, daß „es keinen Staat gibt, für den es zu sterben lohnt“. Er fordert: „Entgiften wir. Das kann man aber nicht, wenn man (...) in der Defensive stehen bleibt. (...) Ich glaube, daß man weiterkommt, wenn man die Wahrheit sagt: Daß niemand von uns Lust hat zu sterben - und bestimmt keiner, für eine solche Sache zu sterben. Daß Soldaten, diese professionellen Mörder, nach vorn fliehen. Daß niemand gezwungen werden kann, einer Einberufungsorder zu folgen (...)“

Gegen das Tucholsky-Zitat tätig geworden ist bisher die Mannheimer Kripo, die Bad Homburger Kripo, die Mannheimer Staatsanwaltschaft, die Amtsgerichte Schwetzingen und Weinheim und was weiß ich welche Ämter sonst noch. Als Zeugen werden Besucher meiner Lesungen und andere vorgeladen. Eine Frau hatte die Lesung angemeldet, ein Mann ein Plakat in seinem Büro aufgehängt. Das sind so schwerwiegende Delikte. Selbst am Tag vor Weihnachten wird noch zur Zeugenvernehmung ins Gericht geladen, denn der Justiz eilt es. Am 9.Januar 1989 wäre Tucholsky 99 Jahre alt geworden. Vielleicht verjährte da irgendeins seiner Worte. Dem muß vorgebeugt werden. Außerdem ist es nur recht und in freiheitlicher Ordnung, wenn Unsicherheit verbreitet wird bei Buchhändlern, Verlegern, Autoren, Lesern.

Man muß Bücher nicht gleich verbrennen, wenn es auch anders geht. Der deutsche Krieg gegen den Rest der Welt ging verloren. Nun rüsten sie, wenigstens die Weltliteratur zu besiegen und zu verstümmeln. Rückwirkend bis in die Bibel hinein wollen sie alles schwärzen, was das Töten verbietet und die Täter beim genauen Namen nennt.

Selbst ihren lieben Alten Fritzen werden sie, die Ahnungslosen, zensieren müssen, der nannte Soldaten „Taugenichtse und Henker“. Vorwärts, Zensoren, es gibt viel zu tun.