■ Press-Schlag: „Sind Sie korrupt, Herr Nebiolo?“
Die Leichtathletik-WM in Göteborg hat ihre erste Aufregung schon vor dem Start. Am Montag abend versah der einheimische Leichtathletikverband die SportjournalistInnen des Landes mit Maulkörben: Keine „unbequemen“ Fragen mehr an den Leichtathletik-Boss Primo Nebiolo (72). Dieser, so WM-Organisationschef Ulf Ekelund, fühle sich „tief verletzt“ durch den Empfang der schwedischen Medien.
Mehrere Zeitungen hatten nämlich die Frechheit gehabt, die nebulöse Vergangenheit des Italieners, all die Korruptions- und Manipulationsvorwürfe, nicht zu verschweigen. Höhepunkt der Gastunfreundlichkeit war die Frage der Fernsehjournalistin Britt-Marie Mattsson: „Es gibt da so Gerüchte: Sind Sie korrupt?“ Statt einer Antwort war das auf 60 Minuten Länge geplante Interview damit nach acht Minuten zu Ende. Der charmante Nebiolo („Mit wie vielen Männern haben Sie geschlafen?“) verließ die Hotelsuite, seine Bodyguards bedrängten eine knappe Stunde lang massiv das Fernsehteam, die Videokassette herauszugeben. Trotz der Androhung rechtlicher Schritte und der Ankündigung einer sofortigen Abreise sollte das Abbruchinterview gestern abend über die Mattscheibe flimmern. Und Schwedens Leichtathletikoffiziellen rutschte das Herz offenbar in die allertiefste Hosentasche.
In einer mehr als peinlichen Vorstellung krochen die WM-Organisatoren von Göteborg vor der Presse zu Kreuze, um Nebiolo zu Gefallen zu sein. Die renommierte Fernsehjournalistin Britt-Marie Mattson aber sagte: „Ich habe schon Castro und Schirinowski interviewt, aber keiner hat sich so aufgeführt.“ Für Nebiolo sind seither prinzipiell alle JournalistInnen Luft: Er beantwortet nicht einmal mehr Fragen nach dem Wetter. Seine heutige Wiederwahl als IAAF- Präsident dürfte das allerdings nicht gefährden: 136 von 206 Ländern haben sich bereits für den gegenkandidatenfreien Primus ausgesprochen. Reinhard Wolff, Stockholm
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