Sind Sie glücklich?: „Ich habe nur einen Wellensittich“
■ 11 Uhr, Alexanderplatz. Seit einigen Monaten hängt Friedrich Hempel wieder an der Flasche. Er fühlt sich für den Tod seiner Lebensgefährtin verantwortlich
„Sind Sie glücklich?“ will die taz wissen und hört sich täglich um 11 Uhr abwechselnd auf dem Wittenbergplatz und dem Alexanderplatz um.
Der 59jährige Rentner Friedrich Hempel: Nein. Ich habe vor zehn Tagen meine Partnerin begraben. Wir hatten beide jeweils zwei Ehen hinter uns und haben 15 Jahre zusammengelebt. Die Beziehung war viel schöner als eine Ehe. Sie ist an Krebs gestorben. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe das Knötchen in ihrer rechten Brust gespürt und sie zum Arzt geschickt. Wenn ich das nicht getan hätte, würde sie heute noch leben. Nach der Ope
Friedrich Hempel
ration ging's bergab. Durch die Bestrahlung und Chemotherapie verlor sie ihre Haare. Das Ende war grausam.
In mir ist totale Leere. Ich bin Alkoholiker. Als sie im Krankenhaus lag, habe ich wieder angefangen zu trinken. Ich war neun Jahre trocken. Geld ist nicht mein Problem. Ich stinke vor Geld. Ich war lange Zeit im Ausland auf Montage. Ich bin gebürtiger Dresdner. Ein Jahr nach Mauerbau bin ich aus einer besoffenen Wette heraus in den Westen abgehauen, indem ich durch die Felder gerobbt bin. Geld macht nicht glücklich, aber es ist gut, wenn man's hat. Hier am Alex habe ich viele Leute kennengelernt, denen es finanziell schlechtgeht. Das sind gescheiterte Existenzen, mit denen ich ab und zu mal einen trinke. Man hilft sich gegenseitig. Vorhin ist zum Beispiel einer gekommen, der brauchte 20 Mark. Im Gegenzug greifen diese Leute mir unter die Arme. Sie rüsten mich auf, weil ich mit ihnen reden kann. Sonst habe ich nur noch einen Wellensittich.
Von den Politikern fühle ich mich angeschissen. Ich habe rot gewählt. Die Schwarzen habe ich nicht gewollt. Und was machen die? Große Koalition. Das nächste Mal wähle ich PDS. Plutonia Plarre
Heute stehen wir auf dem Wittenbergplatz
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