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Simin Keramati über Irans Kulturzensur"Es ist ein ewiger Kampf"

Die Zensur lässt sich umgehen, die Männerherrschaft treibt in den Wahnsinn. Ein Gespräch mit der iranischen Künstlerin Simin Keramati, deren Arbeiten gerade in Karlsruhe gezeigt werden.

"Ich muss Widerstand leisten. Manchmal habe ich Erfolg und bin glücklich, dann wieder falle ich in ein Loch und bin resigniert." Bild: dpa
Interview von Bahman Nirumand

taz: Frau Keramati, ist Karlsruhe der erste Ort in Deutschland, in dem Sie Ihre Arbeit präsentieren?

Simin Keramati: Ich hatte bereits in Freiburg gemeinsam mit anderen iranischen Künstlern eine Ausstellung. Aber ein so großes Festival wie in Karlsruhe, auf dem Werke von iranischen Künstlerinnen ausgestellt und ein Gesamteindruck von Leben und Arbeit iranischer Frauen vermittelt wird, erlebe ich zum ersten Mal.

Können Sie als Künstlerin frei im Ausland auftreten oder gibt es seitens des Regimes Einschränkung?

Ich persönlich hatte bisher keine Probleme, obwohl ich in Staaten wie den USA, Brasilien oder in ostasiatischen Ländern Ausstellungen hatte. Das mag daran liegen, dass ich auch viel mit Video arbeite. Natürlich gibt es Einschränkungen und Verbote, aber auch entsprechende Wege, sie zu umgehen.

Welche zum Beispiel?

Man versucht die Werke möglichst unauffällig über die Grenze zu bringen, indem man sie einzeln verschickt oder Bekannte bittet, sie als persönliches Gepäck mitzunehmen. Das macht man aber nur, wenn es sich um Arbeiten handelt, die aus der Sicht der Zensoren nicht zulässig sind.

Was verbieten die iranischen Zensoren?

Da ist erst einmal der ganze Bereich der Sexualität. Selbst die islamischen Kleidungsvorschriften müssen in einem Kunstwerk eingehalten werden. Tabubrüche in diesem Bereich werden nicht geduldet. Das gilt selbstverständlich auch für alles, was aus der Sicht der islamischen Geistlichkeit als heilig betrachtet wird. Kritik, Zweifel oder Ironie sind nicht erlaubt. Auch Werke, die sich mit Politik und Gesellschaft kritisch auseinandersetzen, geraten unter die Lupe der Zensoren. Hier gibt es allerdings gewisse Spielräume, die die Künstler gut kennen und in Anspruch nehmen. Allerdings sollte ich vielleicht hinzufügen, dass die Malerei und die bildende Kunst leichter als Literatur die Grenzen der Zensur überschreiten können.

Denn die Zensoren kennen sich in der Literatur weit besser aus als in den anderen Künsten. Ihnen ist auch bewusst, dass die Literatur einen weitaus größeren Wirkungsbereich hat als andere Künste, die nur gewisse Schichten der Bevölkerung erreichen. Schließlich haben die modernen Künste im Vergleich zu der Literatur den Vorteil, dass sie ihre Motive und Botschaften in abstrakter Form ausdrücken können. Natürlich können Schriftsteller und Dichter auch mit Metaphern und Verschlüsselungen die Zensur zu umgehen versuchen. Aber da kommen ihnen die Zensoren eher auf die Schliche, während sie mit der abstrakten Kunst kaum etwas anfangen können.

Wenn man alle Bereiche, die Sie erwähnt haben, ausklammert, bleibt doch zum Beispiel für die figürlichen Maler kaum etwas anderes, als Landschaften zu malen. Was sind denn Ihre Themen?

So ist es. Daher ist auch kein Künstler oder Schriftsteller von Rang dazu bereit, sich den vorgegebenen Richtlinien zu beugen. Es ist ein ewiger Kampf mit der Zensurbehörde, ein Kampf, der oft für die Betreffenden weitreichende Konsequenzen haben kann. Es bedarf einer langen Erfahrung, um die Schleichwege zu finden, um dies erfolgreich zu bestehen. Was meine Arbeit betrifft, schöpfe ich meine Ideen und Themen nicht aus der kritischen Betrachtung der Vorgänge im Land, sondern aus dem, was sich in mir selbst abspielt, was ich fühle und erlebe.

Ich bin eine Frau, die in einer von Männern dominierten orientalisch-islamischen Gesellschaft aufgewachsen ist und sich permanent mit traditionellen Strukturen im Privaten wie in der Öffentlichkeit auseinandersetzen muss. Meine Träume, meine Ideale und meine Bedürfnisse geraten ständig in Konflikt mit diesen Strukturen. Ich muss Widerstand leisten. Manchmal habe ich Erfolg und bin glücklich, dann wieder falle ich in ein Loch und bin resigniert. Meine vorletzte Arbeit ist ein Selbstporträt, das sich langsam in nichts auflöst. Oder eine Videoarbeit von mir zeigt, wie ich mich selbst lebendig begrabe.

Lebendig begraben?

Das war ein Ausdruck von Wut und Protest. Ich wollte zeigen, dass ich und meinesgleichen in dieser Gesellschaft unerwünscht sind. Wir leisten zwar Widerstand, aber am liebsten würde man uns im Haus hinter dem Herd verstecken.

SIMIN KERAMATI

Geboren 1970 in Teheran, studierte Malerei, bevor sie sich zunehmend der Videokunst widmete. 2001 gelang ihr mit einer Ausstellung in Washington der internationale Durchbruch. 2004 gewann sie den großen Preis der 11. Asien Art Biennale von Bangladesch.

2005 erregte sie großes Aufsehen mit ihrer Videoarbeit "Silence". Gezeigt wird eine Männerhand, die eine Gebetskette hält und die Perlen weiterschiebt. Begleitet vom markanten Klackgeräusch, wird die endlose rituelle Handlung auf der Großleinwand zu einer überdimensionalen Metapher religiöser Macht. Zurzeit stellt sie in Karlsruhe auf dem Festival "Frauenperspektiven" in der Karlsruher Galerie Bode aus.

Können Sie im Iran öffentlich auftreten?

Ich persönliche hatte bisher keine Probleme. Zwar werden hier und dort Galerien geschlossen und die Ausstellung bestimmter Kunstwerke, die die sogenannte rote Linie überschreiten, verboten. Aber im Allgemeinen werden aufgrund der niedrigen visuellen Bildung - das gilt gerade für die Zensoren - Überschreitungen der Verbotsgrenzen übersehen. Und das Publikum, das Kunstausstellungen besucht und über die notwendige Bildung verfügt, ist zumeist gegenüber Kritik offen und weiß sich darin mit den Künstlern einig. Je verschlüsselter und verdeckter eine Kritik geäußert wird, desto größer ist die Chance, vor den Augen der Zensur zu bestehen. In dieser Hinsicht blicken wir im Iran auf eine jahrhundertelange Tradition. Die alten großen Poeten Irans haben sich in ihrem Widerstand gegen die herrschende Despotie immer solcher Methode bedient.

Können Künstler im Iran von ihrer Kunst leben?

Das ist selten der Fall. Es gibt einige Künstler, die inzwischen international bekannt sind und deren Werke auch im Ausland gut verkauft werden. Aber die meisten müssen nebenbei Geld verdienen. Eine staatliche Unterstützung gibt es nicht. Eine Ausnahme bilden jene Künstler, die im Auftrag der Regierung arbeiten und für sie werben.

Wie können private Galerien sich da auf den Beinen halten?

Die haben es sehr schwer, denn das Interesse für moderne Kunst lässt sehr zu wünschen übrig. Besucht werden die Galerien hauptsächlich von Intellektuellen, Akademikern, Studenten und Angehörigen des bürgerlichen Mittelstands, die nicht gerade zu den wohlhabendsten Schichten gehören. Dementsprechend gering ist der Verkauf. Allerdings ist in letzter Zeit die Zahl der Ausländer, die sich für moderne Kunst aus dem Iran interessieren, rapide angestiegen. Touristen oder Kaufleute, die sich vorübergehend im Iran aufhalten, nehmen gern Originale für ihre Sammlung oder als Präsent mit. Auch Kunstsammler oder -händler aus Europa sind oft bei uns anzutreffen. Das hat offensichtlich auch dazu geführt, dass inzwischen auch mehr Iraner sich zum Kauf eines Kunstwerks entschließen.

Steht die moderne Kunst im Iran unter dem Einfluss des Westens, ahmt sie gar den Westen nach, oder ist sie eher aus der kritischen Auseinandersetzung mit der nationalen Tradition und Kultur entstanden?

Technisch betrachtet fühlen sich iranische Künstler an keine nationalen Grenzen gebunden. Und der Einfluss von außen, aus dem Westen, aber auch aus anderen Weltgegenden auf Stil und Form der künstlerischen Gestaltung ist nicht zu übersehen. Nachahmer gibt es natürlich auch. Was aber Inhalt und Motive betrifft, ist die iranische Herkunft zumeist unverkennbar. Doch durch die modernen Kommunikationsmittel sind die Nationen so nah zusammengerückt, dass gegenseitige Beeinflussung und Inspiration selbstverständlich geworden ist.

Aber die Themen, die die iranische Gesellschaft betreffen, sind so brisant und für das Schicksal eines jeden Individuums so entscheidend, dass kein ernst zu nehmender Künstler sich dem entziehen kann. Sie spüren auf der Straße, in den Familien, bei den Ämtern, im Radio, im Fernsehen den unerbittlichen Kampf einer nach Freiheit strebenden Zivilgesellschaft gegen jene Kräfte, die das Rad der Geschichte aufhalten beziehungsweise zurückdrehen möchten. Es ist ein Kampf zwischen Tradition und Moderne in all seinen Facetten. Insbesondere wir Frauen spüren diesen Kampf am eigenen Leib. Bei vielen Kunstwerken hat man das Gefühl, dass der Künstler die gesellschaftlichen Probleme, die ihm auf den Nägeln brennen, geradezu hinausschreien möchte. Die grellen Farben, die oft verwendet werden, zeugen von innerer Unruhe, von Wut und Schmerz.

Erfahren Sie als Künstlerin im Vergleich zu Ihren männlichen Kollegen weniger Akzeptanz im Iran?

Natürlich. Die Kunst ist eine öffentliche Angelegenheit und in der iranischen Öffentlichkeit haben die Männer das Sagen. Manchmal treibt mich das zum Wahnsinn. Ich will ernst genommen werden, will, dass man unabhängig von meinem Geschlecht meine Kunst beurteilt. Das fällt den Männern offenbar schwer.

Aber ich möchte auch betonen, dass sich vieles geändert hat. Dinge, die noch vor zehn, zwanzig Jahren unmöglich schienen, sind inzwischen selbstverständlich geworden. Das haben wir nicht der Gnade des Staates oder den Männern zu verdanken, sondern unserem nicht nachlassenden Widerstand. Die Frauen im Iran haben viele Bastionen, die von Männern beherrscht wurden, erobert. Das gilt für alle Bereiche, einschließlich Kunst und Literatur. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf einem guten Weg sind.

Hier das Programm des Iranfestivals in Karlsruhe

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