Silvio-Meier-Demo in Berlin: Auch Linke brauchen Rituale

Berlins radikale Linke organisiert sich neu. Die Tradition gewordene Silvio-Meier-Demo am Samstag kann dabei eine stabilisierende Rolle spielen.

Gedenken: Seit April 2013 gibt es in Friedrichshain die Silvio-Meier-Straße. Foto: DPA

Auf den ersten Blick ist alles wie immer: Die Demonstration in Gedenken an den von Neonazis ermordeten Hausbesetzer Silvio Meier beginnt an diesem Samstag um 17 Uhr am U-Bahnhof Samariter Straße in Friedrichshain – an dem Ort also, an dem der damals 27-jährige Meier 1992 durch Messerstiche tödlich verletzt wurde.

Die Route führt anschließend unter anderem über die Rigaer Straße bis nach Kreuzberg, also da entlang, wo Berlin nach wie vor von linker Subkultur geprägt ist. Im letzten Jahr war das anders: Zum ersten Mal war die Demonstration fernab der Rigaer Straße am S-Bahnhof Marzahn gestartet und durch den Ostbezirk gezogen, mitten durch das Antifa-Feindesland sozusagen.

Die OrganisatorInnen wollten damit eine Ansage machen: Seit Sommer 2013 hatten es Neonazis in Marzahn-Hellersdorf geschafft, eine kontinuierliche Protestbewegung gegen Flüchtlingsunterkünfte – und ihre BewohnerInnen – aufzubauen.

Im Winter 2014/2015 hatte es in den östlichen Randbezirken zum Teil mehrere rechte Aufmärsche pro Woche gegeben. Von antifaschistischen Gruppen am Stadtrand war damals auch Unmut zu hören: Der größte Teil der Berliner Szene würde sich nur ungern aus der Innenstadt herausbewegen, außerhalb Friedrichshain-Kreuzbergs sei es mit dem wortgewaltig verkündeten antifaschistischen Widerstand oft nicht mehr so weit her.

Die Silvio-Meier-Gedenkdemonstration startet um 17 Uhr am U-Bahnhof Samariter Straße, die Route führt mit einem Umweg über die Rigaer Straße und einen Schlenker durch den Südkiez bis zum U-Bahnhof Schlesisches Tor.

AntifaschistInnen können sich auch schon vorher betätigen: Gegen den 100. Bärgida-Aufmarsch gibt es ab 12 Uhr eine Demons­tration, die in der Kruppstraße in Moabit startet und von dort nach Mitte zieht.

Weitere Informationen: antifa-berlin.info und nobaergida.blogspot.de. (mgu)

Dass die Demonstration in diesem Jahr wieder in Friedrichshain-Kreuzberg stattfindet, könnte also als Eingeständnis genau dieser Schwäche gelesen werden. Es ist aber auch ein Ausdruck davon, dass sich die Situation in Berlin erneut geändert hat: Schon im vergangenen Jahr war abzusehen, dass die rechten Nein-zum-Heim-Proteste ihren Höhepunkt bereits deutlich überschritten hatten. Mittlerweile hat sich das deutlich bestätigt.

Klassische Neonazi-Strukturen in Berlin stecken in einer Krise, was sich nicht zuletzt an der NPD beobachten lässt, die bei den letzten Wahlen im September ein unterirdisches Ergebnis von 0,6 Prozent der Stimmen eingefahren hat. Rechtsextreme Drohungen und Übergriffe gibt es – insbesondere in Berlins östlichen Randbezirken – nach wie vor in einem beunruhigend hohen Maß. Aber eine dauerhaft auf der Straße präsente Bewegung aufzubauen, ist den Berliner Neonazis vorerst nicht gelungen.

Darüber kann auch ein anderes Ereignis an diesem Samstag nicht hinweg täuschen: Die rechtsextreme Bärgida-Demonstration feiert ihren einhundertsten Aufmarsch und lädt „alle Patrioten unseres Landes“ am Nachmittag zum Washingtonplatz am Hauptbahnhof.

Das klingt vollmundig. Doch wer sich die normalerweise immer am Montagabend stattfindende Demonstration in den vergangenen Monaten angeschaut hat, weiß: Dass diese Veranstaltung es bis zum 100. geschafft hat, liegt nur daran, dass ihre Organisatoren absolut schmerzfrei zu sein scheinen und auch angesichts von TeilnehmerInnenzahlen im unteren zweistelligen Bereich einfach immer weiter machen.

Ähnliches lässt sich über die alle zwei Monate stattfindenden Merkel-muss-weg-Demonstrationen des Marzahner Rechtsextremen Enrico Stubbe sagen, an der beim letzten Mal Anfang November zwar immer noch 500 Menschen teilnahmen, deren Teilnehmerzahl seit der ersten Ausgabe im März aber ebenfalls rapide gesunken ist.

So schwach die Rechten in Berlin momentan auf der Straße sind, so stark sind sie seit dem Einzug der AfD in den Parlamenten. Das hat auch Auswirkungen auf die Antifa-Szene, die ihren Protest in den letzten Monaten von den Randbezirken weg und auf diesen Akteur ausgerichtet hatte: Zunächst an den Wahlkampfständen der RechtspopulistInnen, mittlerweile auch immer wieder vor den Sitzungsorten der Bezirksparlamente.

Die anfängliche Totalverunsicherung in Bezug auf die AfD ist in der Szene mittlerweile überwunden, unter dem Dach der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ (NIKA) wird beispielsweise immer wieder erfolgreich gegen die RechtspopulistInnen gearbeitet.

Trotzdem: Sowohl in Bezug auf die neuen Herausforderungen, die sich durch die AfD stellen, als auch was die Mobilisierung zu klassischeren Anti-Nazi-Aktionen angeht, hat die Szene immer wieder mit Problemen zu kämpfen. Das liegt auch daran, dass es seit der Auflösung der jahrelang tonangebenden Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) im Herbst 2014 bisher keiner Gruppe so Recht gelungen ist, deren Platz einzunehmen.

In unsicheren Zeiten kann die Rückbesinnung auf Rituale hilfreich sein – und ein solches ist die Silvio-Meier-Demonstration in ihrem 24. Jahr auf jeden Fall.

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