Silikon und Ideale: Busen, Natur und Vernunft

Ärzte, Zertifikate und Hersteller von Brustimplantaten – alle werden kritisiert, nur die Schönheitsideale nicht. Schönheit, Emanzipation und Gesundheit können einander ausschließen.

Wer schön sein will, muss leiden. Bild: dpa

"Es ist eben nicht erbauend, eine Frau zu sehen, die wie eine Wespe in zwei Teile zerstückelt ist. Das beleidigt das Auge und verletzt die Fantasie." So schrieb Jean-Jacques Rousseau 1762 über Frauen mit Schnürbrüsten, also jenen formenden Korsetts, die damals Mode waren. Für Rousseau war klar: Die Natur hat gute Maße vorgegeben, wir sollten uns daran halten.

Heute würde Rousseau vielleicht beklagen, dass es ebenso wenig erbauend ist, die glibberigen, hellgelb-durchsichtigen Silikondinger der französischen Firma Poly Implants Prothèses (PIP) zu sehen, die als Brustimplantate weltweit bis zu 500.000 Frauen eingesetzt wurden.

Doch dass eine Brustvergrößerung irgendwie "unnatürlich" ist oder mit unschönen Bildern einhergeht, ist nicht das Problem. Das Schlimme ist, dass hunderttausende Frauen, die schönere Brüste haben wollten, wegen des Silikons von schweren gesundheitlichen Risiken bedroht sind.

Die Frage nach der "richtigen" Mode und mit ihr einhergehender Schäden stellt sich nicht erst heute. Das bemerkt auch die Germanistin Almut Hüfler, die am Dienstag im Berliner Museum für Kommunikation einen Vortrag im Rahmen der Ausstellung "Fashion Talks" hielt. "Wer schön sein will, muss leiden. Schnürbrüste, Corsagen und der Gegendiskurs einer freien Natürlichkeit", lautete der Titel.

Hüfler zeichnete die Linie von den steifen Miedern des 16. Jahrhunderts über Korsette zu Silikonbrüsten nach. Zwang zu Natürlichkeit sei, so Hüfler, genauso unvernünftig wie Zwang zu übergroßen Brüsten - aber um Vernunft allein gehe es eben nicht. "Erst wenn sich Gesundheitsargumente mit neuen Schönheitsidealen verbinden, werden alte Modetrends abgelöst", sagt Hüfler. Das sei auch bei der Korsettmode so gewesen, die um 1800 durch weite Empirekleider ersetzt wurde. Da war Rousseau übrigens schon tot.

Doch es fällt auf, dass die Diskussion, die nun über medizinisch unbegründete, ästhetische Eingriffe neu entfacht wird, fast ausschließlich aus gesundheitlicher Sicht geführt wird, nicht aber aus kultureller. Debattiert wird über technische Zertifikate, Krankenkassen und Polypropylen. Das ist wichtig, klar.

Das prägende Idealbild

Doch dass der Diskurs sich hierzulande auf die Wissenschafts- und Gesundheitsressorts beschränkt und nicht in Feuilletons und Kulturredaktionen geführt wird, sagt viel über unseren Umgang mit Schönheits-OPs. Möglicherweise sitzt das prägende Idealbild der großbusigen Frau so fest, dass es mit seinen dicken Möpsen die Diskussion um Schönheitsideale einfach erstickt.

Denn nur wenig wird über Hintergründe und Motivationen zu Brustoperationen gesprochen. Einige der Eingriffe dienen der Rekonstruktion eines vorherigen Zustands, etwa nach Krebserkrankungen, doch rund 80 Prozent sind rein ästhetischer Art. Warum entscheiden sich so viele Frauen, ihren Körper in Richtung eines vollbusigen Ideals chirurgisch ändern zu lassen?

Fehlen also zu den gesundheitlichen Argumenten gegen Brustvergrößerungen heute noch neue Körperideale, damit Frauen auch mit kleinen, spitzen oder hängenden Brüsten glücklich sein können?

Natürlich soll jeder Mensch selbst entscheiden, was sie oder er mit dem eigenen Körper macht. Der Satz "Mein Bauch gehört mir" aus der Abtreibungsdebatte gilt auch für den Rest des Körpers. Zur Emanzipation kann vieles gehören, auch die Entscheidung für eine OP.

Doch spätestens, wenn daraufhin Krankheiten und Todesfälle auftreten, müssen auch Mode und Ästhetik hinterfragt werden, müssen sie wieder auf patriarchale Machtstrukturen und den definierenden, männlichen Blick zurückgeführt werden. Diese Ambivalenzen zwischen individuellen Bedürfnissen, persönlicher Freiheit und kritischer Aufklärung muss ein gesellschaftlicher Diskurs ertragen können.

"Wenn wir Mode kritisieren, müssen wir bedenken, dass wir auch nur einen bestimmten Standpunkt im Diskurs einnehmen", sagt die Germanistin Hüfler. Die Korsette von früher seien heute womöglich verinnerlicht und lebten als Praktiken in Fitnessstudios und Schönheits-OPs weiter. "Es gibt dabei immer dieses Paradox, dass auf krankhafte Entwicklungen hingewiesen wird und doch die Freiheit des Handelns respektiert werden muss."

In diesem Spannungsfeld brauchen wir eine neue Debatte über Körperoptimierung. Keine im Sinne von Make-up-Ächtung und BH-Verbrennung, sondern eine informierte, offene Diskussion über Selbstbestimmung und Schönheitsindustrie.

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