Silikon-Skandal in Deutschland: Flächendeckend gefährliche Brüste
Experten schätzen, dass etwa 10.000 Frauen bundesweit die minderwertigen Brust-Implantate der Firma PIP eingesetzt bekamen. Besonders betroffen sind Düsseldorf und Hamburg.
BERLIN dpa | Viele deutsche Kliniken haben ihren Patientinnen Billig-Brustimplantate der französischen Firma PIP eingesetzt. Der Silikon-Skandal erstreckt sich über alle Bundesländer. Offensichtlich sind die Städte Düsseldorf und Hamburg besonders betroffen. Seit Mittwoch ist klar, dass die Patientinnen kaum auf Entschädigungen des Unternehmens hoffen können.
Nun werden immer mehr Stimmen laut, die Unterstützung für die Betroffenen fordern - oder anbieten. Deutsche Experten gehen von bundesweit bis zu 10.000 betroffenen Frauen aus. Die Implantate seien zu 20 bis 25 Prozent aus medizinischem Anlass, der Rest aus Schönheitsgründen eingesetzt worden.
Die deutschen Kassen tragen im ersten Fall die Kosten der Kissen-Entfernung und der neuen Implantate. Bei Schönheitsoperationen, müssen Patientinnen die Kosten zum Teil oder ganz übernehmen. Viele Kassen haben den betroffenen Frauen aber schon von sich aus zusätzliche Unterstützung angeboten.
Unangemeldete Kontrollen
Die Ärzte können nicht in Haftung genommen werden, wenn sie PIP im guten Glauben implantiert haben. Es geht nach Aussagen deutscher Experten nicht darum, die Zulassung für Medizinprodukte zu ändern. Das helfe nichts, wenn - wie im PIP-Fall - "kriminelle Energie" im Spiel sei. Unangemeldete Kontrollen bei entsprechenden Herstellern seien bereits heute möglich, es gebe aber zu wenig Personal.
Allein in Nordrhein-Westfalen setzten 25 medizinische Einrichtungen ihren Patientinnen nach Angaben des Düsseldorfer Gesundheitsministeriums die minderwertigen Implantate ein. Medien berichteten, der Schwerpunkt sei der Regierungsbezirk Düsseldorf mit neun Kliniken und sechs Arztpraxen.
In Hamburg sind nach Angaben von Medizinern bislang 180 Frauen bekannt, die PIP-Silikonkissen erhalten haben. "Ich kenne vier Fälle, in denen die Implantate schon ausgetauscht wurden", sagte die Hamburger Landesvorsitzende der Deutschen Gesellschaft der plastischen, rekonstruktiven und ästhetischen Chirurgen, Regina Wagner, am Donnerstag. Bis auf Brandenburg - das Land erhob bislang keine Daten - meldeten alle Bundesländer zumindest Einzelfälle.
Schärfere Kontrollen
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, forderte angesichts des Skandals in den Ruhr Nachrichten (Donnerstag) schärfere Zulassungsregeln für Medizinprodukte. "Wir benötigen eine Weiterentwicklung bisheriger Standards." Bessere Kontrollen alleine genügten nicht. Montgomery sieht die Kassen in der Frage der OP-Kostenübernahme in jedem Fall in der Verantwortung: "Es geht hier um eine dringliche medizinische Indikation."
Die gesetzlichen Krankenkassen verlangten, der Staat müsse Medizinprodukte viel schärfer kontrollieren. Sie müssten bei der Zulassung ähnlich wie Arzneimittel behandelt werden, sagte die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung, Doris Pfeiffer, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Freitag).
"Wir brauchen eine amtliche Zulassung wie bei Arzneimitteln und Studien, die Nutzen und Risiken eines Medizinprodukts aufzeigen", sagte Pfeiffer der FAZ. Der Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg, Christoph Kranich, forderte in der "Neue Osnabrücker Zeitung" langfristige Kontrollen. Auch Jahre nach der Einführung eines Produkts, müssten unangekündigte Untersuchungen erfolgen.
25 gerissene Implantate
Der Bundesrat wird voraussichtlich am 10. Februar eine neue nationale Regelung zur Überwachung von Medizinprodukten beschließen, die Anfang 2013 in Kraft treten soll. Ziel sind Qualitätskontrollen auf deutschlandweit einheitlichem Niveau. Am Mittwoch hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 25 gerissene Implantate der Firma PIP gemeldet.
Der PIP-Gründer Jean-Claude Mas hat sein Vermögen nach Medien-Informationen über ausländische Beteiligungsfirmen verteilt und weitgehend seiner Familie überschrieben. Betroffene Frauen erhielten deshalb voraussichtlich keinen Schadensersatz.
Weltweit sollen zwischen 400.000 und 500.000 Frauen minderwertige Silikonkissen der französischen Firma Poly Implant Prothèse (PIP) erhalten haben. Deren Silikon kann aus den Implantaten sickern, sich im Körper verteilen und Entzündungen auslösen. Es wird befürchtet, dass dies das Krebsrisiko erhöht, was jedoch nicht bewiesen ist.
In Brasilien können sich Frauen schadhafte Implantate von PIP und der niederländischen Firma Rofil kostenlos entfernen lassen. Der Staat übernehme die Kosten aber nur, wenn die Implantate defekt sind, wie die Gesundheitsbehörde Anvisa mitteilte. In Brasilien wird die Zahl der Frauen mit Brustimplantaten auf 300.000 bis 400.000 geschätzt. Von ihnen haben sich etwa 12.500 Frauen PIP- und rund 7.000 Rofil-Implantate einsetzen lassen.
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